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Aus dem Bleistiftgebiet. Pastiors „Frisch gewaschenes Gedicht“.

© Abb.: Pastior Stiftung, Berlin/DLA Marbach

Oskar Pastior in der AdK: In Samarkand, wo der Kreis das Viereck fand

Der Lyriker Oskar Pastior als Zeichner: eine Ausstellung in der Akademie der Künste zum Start des 20. Poesiefestivals Berlin.

Wer als Künstler in zwei Sphären des Schöpferischen unterwegs ist, in der Bildenden Kunst wie in der Poesie, der kann in eine prekäre Asymmetrie geraten. Denn nicht immer gelingt die ästhetische Koexistenz der Gattungen so gut wie bei Christoph Meckel, dem Meister des sprachmagischen Gedichts wie auch der surrealen Graphik. Bei Peter Weiss wurde einst die Verbindung zwischen den Künsten gekappt: „Peter Weiss war lange ein Künstler, der auch schrieb“, so Meckel einmal über seinen Freund, „er war danach ein Schriftsteller, der kein Bild mehr machte.“ Im Fall des siebenbürgischen Sprachzauberers und Büchnerpreisträgers Oskar Pastior (1927-2006), der mit seiner selbstvergessenen Wörterakrobatik eine ganze Generation von experimentellen Poeten animierte, ist das Verhältnis kompliziert.

Pastior hat sich selbst als „Autor von Sprach- und Zeichengebilden“ verstanden, der mit seinen „Wechselbälgern“, „Sonetburgern“, „Vokalisen“ und „kleinen Kunstmaschinen“ die Möglichkeiten der Sprache auslotete. Dass er von früher Jugend an auch ein passionierter Zeichner war, wussten nur Wenige: Der Dichter selbst hat seine Zeichnungen nur sparsam der Öffentlichkeit preisgegeben.

Dank einer akribischen Erkundung von Pastiors zeichnerischem Werk durch die Stadtforscherin und Autorin Heidede Becker liegt nun eine profunde Analyse seiner bildkünstlerischen Leistungen vor. Becker hatte den damals noch unbekannten Poeten nach seiner Übersiedlung von Bukarest nach Berlin 1973 kennengelernt und mit ihm ein paar Jahre in einer Wohngemeinschaft in Berlin-Charlottenburg zusammengelebt.

Vor einigen Jahren sichtete sie dann den Nachlass des Dichters im Literaturarchiv Marbach, in dem rund 650 Zeichnungen Pastiors aufbewahrt sind. Sämtliche Zeichnungen sind nun in einem großformatigen Band mit umfangreichem Kommentar dokumentiert. Außerdem findet eine Ausstellung der Zeichnungen im Rahmen des Berliner Poesiefestivals in der Akademie der Künste statt.

Wie ein Kommentar zur Zeichnung

Pastior, der Sohn eines Zeichenlehrers aus Hermannstadt, arbeitete bereits als Student in Bukarest an einer Verbindung vokabulärer und bildkünstlerischer Impulse. So entwarf er im Herbst 1956 eine Folge von fünf „gezeichneten Gedichten“, in denen ein Dialog zwischen Text und Bild, Poesie und Zeichnung erprobt wird. Eins dieser „gezeichneten Gedichte“, das Poem „Sterne“, erschien fünfzig Jahre später auf dem Cover von Band 1 der Pastior-Werkausgabe.

Das handgeschriebene Gedicht erscheint dabei wie ein poetisch verrätselter Kommentar zur Zeichnung. „Die gelben Sterne sind vor meinen Schritt gefallen“, hebt das Gedicht an, um am Ende in eine apokalyptische Szene zu münden: „Ich kann nicht auf die gezackten Leichen treten. / Ich bin angebrochen wie die Kante Schnee zum Wasser.“ Tatsächlich sieht man auf der Zeichnung auf dem Boden liegende Figuren, ein Panzer schickt sich an, sie zu überrollen.

Ernest Wichner hat in der Pastior-Werkausgabe auf den historischen Hintergrund dieses Gedichts hingewiesen: Es ist die schockhafte Erfahrung der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands durch sowjetische Panzer.

Wunderbar leichte Zweizeiler

Pastiors Zeichnungen arbeiten immer wieder mit geschwungenen Linien von gestischer Kraft, die sich zu eigentümlichen Figurationen und Traumgeschöpfen verbinden. Zu den schönsten Funden in „Aubergine mit Scheibenwischer“ zählen neben den kryptischen Hieroglyphen-Tafeln zum Band „Vokalisen & Gimpelstifte“ (Carl Hanser, 1992) die künstlerischen Kollaborationen Pastiors mit seiner ersten Ehefrau Roswith Capesius.

In den 1960er Jahren arbeiteten beide an einem „Kleinen Reim- und Bilderbuch vor dem Asienbesuch“, das im vorliegenden Band erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Zu elementaren Formen wie Kreis und Quadrat und minimalistischen Skizzen von Bäumen und Gebäuden erfand Pastior hier wunderbar leichte Zweizeiler. Einer dieser Zweizeiler ist ähnlich wie der berühmte Elementarvers des Dichters, „Jalusien aufgemacht Jalusien zugemacht“, ein Sprachkunstwerk, mit dem die Alphabetisierung der Welt beginnen könnte: „Wo der Kreis das Viereck fand, / da entstand einst Samarkand.“

Akademie der Künste, Hanseatenweg. bis 1.7., täglich 11-19 Uhr. Begleitbuch von Heidede Becker: Aubergine mit Scheibenwischer. Die Zeichnungen von Oskar Pastior. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2018. 230 Seiten, 29,80 €.

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