
© Kunstsammlungen Chemnitz/Jürgen Seidel
Oskar Zwintscher im Albertinum: Der sächsische Klimt
Das Albertinum Dresden feiert die späte Wiederentdeckung des Fin-de-Siècle Malers Oskar Zwintscher mit eine Retrospektive unter dem Titel „Weltflucht und Moderne“.
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Meist sind es Künstlerinnen, die in den vergangenen Jahren aus dem Schatten ihrer allzu lange dominanten männlichen Zeitgenossen ins Licht auch einer größeren Öffentlichkeit geholt wurden. Hierfür stehen Namen wie Camille Claudel, Lotte Laserstein oder die in Deutschland trotz früher Documenta-Teilnahmen immer noch kaum bekannte Franko-Portugiesin Maria Veira da Silva, jüngst zu sehen in der Ausstellung über „Die Form der Freiheit. Internationale Abstraktion“ im Potsdamer Museum Barberini.
Doch auch Männer gehören bisweilen zu den Vergessenen. Und geradezu sensationell wirkt jetzt in Dresden die Wiederentdeckung des Fin-de-Siècle-Malers Oskar Zwintscher.
Tatsächlich augenöffnend ist, was die Staatlichen Museen im Dresdener Albertinum mit der Schau „Weltflucht und Moderne. Oskar Zwintscher in der Kunst um 1900“ präsentieren. Da schaut einen der kurzbärtige, ebenso an einen jungen Renaissancekünstler wie auch sehr smart und selbstbewusst an einen Heutigen erinnernde 27-Jährige in seinem „Selbstbildnis mit Tod“ geradezu herausfordernd an.
So, als wären in diesem fast filmisch zweigeteilten Gemälde von 1897 neben Zwintschers rotem Malerpinsel das an einem Stundenglas fingernde Skelett und der eher mittelalterliche Fensterblick auf die knallroten Dächer seiner damaligen Wohnstadt Meißen nur noch spielerisches Zitat: eines Mannes, der seine eigene Vergänglichkeit, aber auch schon die künftige Wiedergeburt im stolzen Blick hat.
Apropos Rot, die Farbe setzt Zwintscher mehrfach mit Raffinesse ein. Auch das 1904 gemalte, jetzt auf Plakaten und auf dem Einband des exzellenten Katalogbuchs in Dresden schon fast zur Ikone gewordene Porträt einer ungenannten jungen Dame (vielleicht eine Schriftstellerin) ist dabei von fabelhaft überzeitlicher Präsenz. Die in schwarzem Samt und Seide vor ebensolcher Stoffkulisse sitzende Frau fixiert den Betrachter frontal.
Mit einem suggestiven und dabei nachdenklich durchdringenden Blick. Aus der umgebenden Schwärze aber leuchtet außer den dunkelblonden Locken, der hellen Gesichtshaut samt Hals und Händen und einem dezent rot geschminkten Mund nur ein winziges Feuer. Das brennt am unteren Bildrand, doch ist es unübersehbar die rote Ascheglut einer Zigarette, welche die junge Frau auf den übereinandergeschlagenen Beinen elegant und lässig in ihrer Hand hält.
Die später um die Welt gehenden Fotos und Filmbilder der emanzipierten 20er-Jahre-Frauen sind hier schon vorweggenommen, das Gemälde des bereits 1916 mit gerade 45 Jahren bei Dresden verstorbenen Oskar Zwintscher gleicht derart einer stillen Revolution.
Man nannte ihn einst den „sächsischen Klimt“. Mit den heute längst berühmten, zwischen Spätimpressionismus, Jugendstil, Symbolismus oder Vorahnungen der expressionistischen Avantgarde flottierenden Kolleginnen und Kollegen des Fin-de-siècle stand Zwintscher im freundschaftlichen Austausch. So wurde er hoch geschätzt vom Wiener Großmeister Gustav Klimt, von Arnold Böcklin, Ferdinand Hodler, Max Klinger, Paula Modersohn-Becker oder Heinrich Vogeler.

© Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen Dresden/Elke Estel/Hans-Peter Klut
Seine Gemälde wurden um die Jahrhundertwende und vor dem Ersten Weltkrieg in vielen Ausstellungen zwischen Dresden, München, Hamburg, Berlin, Wiesbaden, Wien und auf der neu gegründeten Biennale in Venedig gezeigt. Zwintscher hatte zudem als junger Professor an der Dresdener Kunstakademie reüssiert, war als Illustrator für Zeitschriften oder den Schokoladehersteller Stollwerck tätig, er schrieb Gedichte, porträtierte Honoratioren wie den Dresdner Oberbürgermeister und schuf 1901/02 in der Künstlerkolonie Worpswede Abbilder von Heinrich Vogeler, von Rainer Maria Rilkes junger Ehefrau Clara Rilke-Westhoff wie auch von Rilke selbst.
Claras ungemein eindringliches, Wildheit und Melancholie in ein einsaugendes Schwarzgewand hüllendes Porträt, jetzt auch in Dresden zu sehen, befindet sich in der Berliner Sammlung Böhm, das Vogeler-Bild ist in Privatbesitz, während Zwintschers fast dämonischer Rilke im Krieg nach 1942 verloren ging und nur noch auf einer Fotografie existiert. Überhaupt gelten viele der 140 hinterlassenen Gemälde Zwintschers seit dem Zweiten Weltkrieg als verschollen, gut die Hälfte sind in den Museen von Dresden, Chemnitz oder in meist ostdeutschen Sammlungen.

© Museen der Stadt Dresden/Franz Zadniček
Die späte Wiederentdeckung erklärt Hilke Wagner, die Direktorin des Albertinums, auch mit der deutschen Teilung und einer maßgeblich westlichen, Zwintscher lange ignoriert habenden Kunstgeschichtsschreibung.
Umso eindrucksvoller wirkt die jetzige Retrospektive, die das Werk mit allen Wechselbezügen in die ständige Sammlung des Albertinums integriert und reizvolle Seitenblicke auch auf Böcklin, Hodler oder Modersohn-Becker ermöglicht. Vor allem aber erstaunt Zwintschers weite Palette. Mal porträtiert er seine Schwiegereltern altmeisterlich in Dürerscher Manier, zitiert in gespenstischen Bildern von Nackten und Toten Holbein so virtuos wie den Zeitgenossen Egon Schiele oder prunkt mit Dekor und abstrahierenden Farbfeldern à la Klimt – und wirkt doch, von wenigen Anwandlungen eines für heutige Augen sanften symbolistischen Kitsches abgesehen, immer unverwechselbar authentisch. Zudem ist er in seinen Frauenporträts ziemlich genial.
So malt er seine Muse und Gattin Adele Zwintscher meist mit einem Blick voller Schwermut und Anmut, der sich in einem wie hautnahen Profilporträt von 1901 durch einen Handspiegel noch doppelt. Als Reflektion und Reflexion. Einmal mehr schaut die Frau so frontal aus dem Bild hinaus. In unsere Gegenwart.
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