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Kultur: Parkhaus der Bücher

Berlin baut: Die neue Volkswagen- Universitätsbibliothek für TU und UdK

Erst jüngst hat der Brand der Anna Amalia Bibliothek in Weimar dramatisch vor Augen geführt, welche existenzielle Dimension der Verlust des Mediums Buch auch in Zeiten der technischen Reproduzierbarkeit besitzt. Deshalb gehört der Bau einer Bibliothek bis heute zu den Königsaufgaben der Architektur. Mit ihr entsteht nicht nur einfach ein neues Haus, sondern ein Hüter des Wissens, dem es gilt, Gestalt und Technik der Gegenwart zu verleihen.

Mit Spannung durfte man daher den Neubau der gemeinsamen Bibliothek von Technischer Universität und Universität der Künste in der Fasanenstraße erwarten, der mit rund drei Millionen „Medieneinheiten“ einen gewaltigen Bücherberg in sich birgt. Und angesichts der langen Planungszeit und der fortdauernden Querelen um den Bau mutet es wie ein Wunder an, dass das Haus überhaupt verwirklicht wurde. So wurde der preisgekrönte Entwurf Lothar Jeromins über Bord geworfen, und die Finanzierung des Gebäudes konnte nur durch eine Spende der Volkswagen AG gesichert werden. Im Gegenzug geben die Wolfsburger dem Haus ihren und also seinen Namen.

Seit Beginn des Wintersemesters steht den Studierenden die Bibliothek nun zur Verfügung. Zwar ist die neue Volkswagen Universitätsbibliothek zentral gelegen, gleichwohl am Rand des TU-Campus. Das bedeutet für viele Studierende weite Wege, da die Bestände der kleineren Institutsbibliotheken zumeist im Neubau aufgegangen sind.

Der ausgeführte Bibliotheksentwurf, der in Zusammenarbeit mit der Bauabteilung der TU verwirklicht wurde, stammt – ohne Wettbewerb –von dem dem Rationalismus zuzuordnenden Architekten Walter A. Noebel. Entstanden ist ein lang gestreckter roter Kasten am Rand des Zoos, der eine ferne Erinnerung an Schinkels Bauakademie wachruft – bekanntlich die Keimzelle der heutigen TU.

Doch wo Schinkel bei seinem Bau einst Pilaster schuf, rhythmisieren heute Wandvorlagen die großen Fensterflächen der Ziegelfassade der Bibliothek. Allerdings münden diese Vorlagen nicht in einem abschließenden Gesims, sondern laufen nur in einer dünnen Dachkante aus. Doch die Irritationen an dem Gebäude beginnen schon vorher: So versperren auf Sockeln aufgestellte Glaskästen den Blick auf Erdgeschoss und Eingang. Unter diesen allzu wuchtigen Kästen befinden sich die Entlüftungsklappen für das Untergeschoss – wurde der Bücherkeller doch bis an die Straßenkante geführt, um möglichst viel Platz zu gewinnen.

Im rückwärtigen Abschnitt des Gebäudes wird der weite Rhythmus der Wandvorlagen enger und markiert den Übergang von der eigentlichen Bibliothek zum Verwaltungstrakt, der dem Omnibus-Parkplatz an der Hertzallee zugewandt ist. So reduziert sich die Fassadengestaltung der Bibliothek auch gibt – es ist ein architektonischer Minimalismus, der im Keime stecken bleibt, mangelt es ihm doch an jener Konsequenz und Strenge, die einen Bau im Sinne des Rationalismus ausmachen.

Im Inneren dann zeigt die Bibliothek ein gänzlich anderes Gesicht. Dort gibt sie sich als ein rauer Bau, ganz in grauem Sichtbeton ausgeführt, auf den die farblich zurückhaltenden Fußböden und Möbel der Arbeitsplätze abgestimmt sind. Geprägt wird der Raumeindruck vor allem durch den zentralen Lichthof, über dem die Shed-Dächer den industriellen Charakter der Architektur fortschreiben. In den Lichthof eingestellt sind die beiden Treppen mit ihren X-förmig gegeneinander versetzten Absätzen. Die vier Obergeschosse der Bibliothek sind dabei wie Galerien dem Lichthof zugeordnet. So kann der Nutzer den Bau mit einem Blick in seiner ganzen Länge und Höhe durchmessen.

So ist ein offenes Haus entstanden, in dessen endlos anmutenden Regalreihen die thematisch geordneten Bücher geparkt sind. Einen großen Lesesaal, einst Kernstück wissenschaftlicher Bibliotheken, sucht man vergeblich. Stattdessen gibt es dezentral verteilt Arbeitsplätze. Die betont karge Architektursprache lässt die neue Universitätsbibliothek wie ein Bücherparkhaus wirken, eine industriell anmutende Wissensarchitektur.

Im gerade mit Macht einsetzenden Konkurrenzkampf der deutschen Universitäten haben TU und UdK darauf verzichtet, sich mit der Jahrhundertaufgabe eines neuen Bibliotheksbaus zugleich ein neues architektonisches Aushängeschild in zentraler Lage zu geben, das Bedeutung und Anspruch der Institution nach außen trägt.

Jürgen Tietz

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