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Tony Allen bei einem Konzert 2018. Fela Kuti brauchte vier Drummer, um Allens kraftvolles Spiel nach ihrer Trennung zu ersetzen. ih

© imago/Pacific Press Agency/Alessandro Bosio

Schlagzeuger Tony Allen ist tot: Pionier des Afrobeat und bescheidener Meister

Tony Allen prägte früh seine eigene Musikrichtung, später spielte er mit Jazz-Größen und Popstars. Selbst im hohen Alter war er kaum zu bremsen. Ein Nachruf.

Von Jörg Wunder

Schlagzeuger besitzen ja häufig ein expressives Naturell und gehen ihrer Tätigkeit mit nervtötend demonstrativer Virtuosität nach. Bei Tony Allen konnte man nichts von dieser berufsbedingten Eitelkeit entdecken.

Natürlich wusste er, dass er ein herausragender Drummer war. Doch was ihn so einzigartig machte, war nicht nur sein Können, das ihn ein halbes Jahrhundert zu einem der Innovatoren des Beats werden ließ, sondern ebenso sehr, dass er dieses Können nicht zur Schau stellen musste.

Gerade deswegen war es ein Geschenk, diesem bescheidenen Meister bei der Arbeit zuzusehen, wozu es in Berlin in den letzten Jahren immer wieder beglückende Gelegenheiten gab. Bei wundervollen Konzerten mit Reggae-Altstars wie Ernest Ranglin, mit Damon Albarns Promi-Ensemble The Good, The Bad & The Queen oder mit seiner eigenen Begleitband war Tony Allen, nie ohne Hut und Sonnenbrille, mit seinem minimalistischen, schwerelosem Spiel stets das natürliche Energiezentrum des Geschehens. Dabei drängte er sich niemals in den Vordergrund, ließ seinen Mitmusikern immer genügend Raum, um selbst zu glänzen.

Als Tony Allen 1940 in Lagos geboren wurde, war heutige 15-Millionen-Metropole noch ein Provinznest unter britischer Kolonialherrschaft. Die Aufbruchsstimmung nach der Unabhängigkeitserklärung Nigerias 1960 spiegelte sich in einer explodierenden Pop-Szene, zu deren wichtigsten Vertretern Allen bald gehören sollte.

Der Schlagzeug-Autodidakt, der sich gleichermaßen an Jazz-Größen wie Art Blakey und Max Roach sowie den Stars des einheimischen Highlife orientierte, war seit Ende der 60er die treibende Kraft in Fela Kutis bahnbrechender Formation Africa '70. Allens hypnotische Grooves befeuerten die Saxofonexzesse des exzentrischen Bandleaders. Die über 30 Alben der vielköpfigen Kollektivs, die meist aus zwei rund viertelstündigen Stücken bestanden, gelten heute als der Heilige Gral des Afrobeat.

Der Drummer Tony Allen in Paris.
Der Drummer Tony Allen in Paris.

© imago/Hans Lucas/Edouard Brane

Streitigkeiten um die Rechte an gemeinsam komponierten Songs führten 1979 zum Bruch zwischen den beiden Impulsgebern der afrikanischen Popmusik. Tony Allen gründete seine eigene Band, spielte mit Afropop-Stars wie King Sunny Adé und Manu Dibango und zog, nachdem sich in Nigeria das Militär an die Macht geputscht hatte, Mitte der 80er erst nach London und schließlich dauerhaft nach Paris.

In der polyglotten Musikszene an der Seine fand Allen ein Auskommen und eine künstlerische Heimat. Doch trotz ausgezeichneter Alben wie „Black Voices“ (1999) oder „Homecooking“ (2002) schien sein Ruhm langsam zu verblassen, zumal er nie versucht hatte, sich an den Ethnopop-Boom der 90er ranzuschmeißen.

In den letzten Jahren kaum zu bremsen

Es war dann aber doch die Zusammenarbeit mit einem Popmusiker, die Tony Allens Namen auch diesseits von Afrobeat-Experten wieder nachhaltig ins Gedächtnis rief. Der Weltmusik-Archäologe und Blur-Sänger Damon Albarn integrierte Allens unnachahmliches Schlagzeugspiel in gleich zwei „Supergroups“: bei The Good, The Bad & The Queen mit Paul Simonon (The Clash) und Simon Tong (The Verve) und bei Rocket Juice & The Moon mit dem Red-Hot-Chili-Peppers-Bassisten Flea.

Die Aufmerksamkeit für diese ebenso ungewöhnlichen wie fruchtbaren Verschmelzungen unterschiedlich gearteter Talente schien Tony Allens ohnehin nie versiegende Kreativität nochmals zu beflügeln.

In den letzten zehn Jahren war der Mann, obwohl mit über 70 inzwischen ein echter Veteran, kaum noch zu bremsen. Er brachte am laufenden Band tolle Platten raus, huldigte live und auf einer schönen Blue-Note-EP seinem Vorbild Art Blakey und wurde im Gegenzug von jüngeren Bewunderern wie Moritz von Oswald, Theo Parrish, der Disco-Legende Cerrone oder dem Techno-Begründer Jeff Mills zu Aufnahmen und Konzerten eingeladen.

Erst im März erschien „Rejoice“, ein aus gemeinsamen Sessions mit dem 2018 verstorbenen südafrikanischen Trompeter Hugh Masekela entstandenes Album, das den Meister aller Trommelfelle nochmals auf der Höhe seines Könnens zeigt. Nun ist es unversehens zum Vermächtnis gleich zweier großer Musiker geworden. Am 30. April starb Tony Allen im Alter von 79 Jahren in Paris.

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