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Pop und Gesellschaft: Als Gott ein DJ war

Die Subkultur, die Deutschland verändert hat: Das Buch „Der Klang der Familie. Berlin, Techno und die Wende“ folgt den Spuren der Technoszene, in dem es die Erinnerungen der Protagonisten zu einer großen oral history montiert.

Wenn heutzutage das Wörtchen Techno fällt, assoziiert man zumeist die Love Parade, deren tragisches Ende vor zwei Jahren, irgendwelche Ballermann-Raves oder ein stampfendes, stumpfes Bummbumm aus den Hi-Fi-Anlagen frisierter Klein- und Mittelklassewagen. Techno ist ein Allerweltsbegriff geworden, so wie Punk. Ein Begriff, der eine sehr, sehr groß gewordene Jugend- und Popkultur bezeichnet. Und mit dem sich, fasst man ihn etwas enger, diverse popmusikalische Genres jenseits des großen Bummbumms subsummieren lassen, von Minimal Techno über Gabba bis Deep House.

Darüber ist fast in Vergessenheit geraten, dass es einst eine Wiege von Techno gegeben hat. Dass Techno einmal eine avancierte Subkultur war, eine Jugendkultur, „die primär nichtnationalistisch, nichtrassistisch, nicht sexistisch und nicht gewalttätig ist“, wie es der Technospezialist und Autor Patrick Walder einmal formulierte. Genau das dokumentieren nun Felix Denk und Sven von Thülen in ihrem äußerst lesenswerten Buch „Der Klang der Familie. Berlin, Techno und die Wende“. Die beiden Journalisten sind dem Techno gewissermaßen auf den Urgrund gegangen. Sie haben die Protagonisten der ersten Stunde in über 150 zum Teil stundenlangen Gesprächen befragt und um ihre Erinnerungen gebeten und diese zu einer 400 Seiten starken Oral History der frühen Technokultur zusammengestellt.

Als „Soundtrack des Ausnahmezustands nach der Wende“ bezeichnen Denk und von Thülen Techno in ihrem Vorwort, wenngleich es erste Technoregungen und kleinere, aber abgeschottete Szenen schon Mitte der achtziger Jahre in Frankfurt und in Detroit gab. Auch in Berlin wurde in West wie Ost mit elektronischer Musik experimentiert. So erzählt der spätere Love-Parade-Maestro Dr. Motte: „Ich war damals richtig süchtig nach Neuem. Es gab damals die Radiosendung von Barry Graves auf Rias 2. Da liefen immer Mixe aus New York. Ein DJ, den er gespielt hat, hieß Paco. Und den hat er immer so besonders angesagt: ,Jetzt wieder ein Pacooooosssssuper-Mix’. Der hat immer eigene Edits gespielt. Stücke wie ,Walking on Sunshine’ hat er neu zusammengeschnitten und verlängert. Ich hab’ dann auch versucht, mit meinen zwei Kassettendecks solche Versionen zu basteln.“ Und der aus Sachsen stammende Wolle XDP erinnert sich an seine Ostberliner Zeit: „Durch Breakdance habe ich unglaublich viele Leute kennengelernt und wurde zum ersten Mal respektiert. Ich habe schwarze Musik gehört. Elektronische Musik. Und ich hab’ mich gut gekleidet. Ich war eine Poppersau.“

Es ist einer der nicht wenigen Vorzüge dieses Buches, dass es gerade auch die letzten Jahre vor dem Mauerfall intensiv behandelt. Dass man in der vielstimmigen, durchgängig unsentimentalen Erzählung schön erkennt, wie sich die subkulturellen Biografien in Ost und West geähnelt haben. Wie sich „die Sucht nach Neuem“, die Sehnsucht nach popkultureller Dissidenz und Renitenz glichen – und wie all das nach dem Mauerfall zusammenkommt: Die von der Einstürzenden-Neubauten-Cave-Düster-Rockcity genervten Westberliner entdecken den Osten, zumindest den nahen Osten in Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain. Und die Ostler, die sich vorher als „Diskotheker“ ausprobiert haben, die „breaken“ gegangen sind, die sich auf Punkkonzerten und bei Fußballspielen des BFC Dynamo herumgetrieben haben, zeigen sich wiederum vom Westen gar nicht so begeistert. So wie der „Tekkonozid“-Veranstalter und Tresor-Mitbegründer Johnnie Stieler: „Dadurch, dass Westberlin so eine unglaublich spießige und piefige Stadt mit unglaublich spießigen und piefigen Westberlinern war, war das nicht so der Aufreger.  So ein subventioniertes Provinznest, das war irgendwie traurig.“

Man kann „Der Klang der Familie“ deshalb auch als unterhaltsamen Wenderoman lesen, als großformatigen Berlinroman. Er erzählt von einer Zeit, in der nach dem Mauerfall gerade in Ostberlin alles möglich zu sein schien – und letztendlich von einer Vergangenheit, von der Berlin als Sehnsuchtsort junger Easyjet-Touristen aus allen Teilen der Welt heute noch zehrt. Industriebrachen und leerstehende Wohn- und Bürohäuser laden zu Partys ein, besonders Mitte wird zu einem großen Abenteuerspielplatz. Die Technoaktivisten gründen Clubs wie den Tresor, den Planet, den Walfisch, den Bunker, knüpfen aber auch Kontakte nach Detroit und warten im Kreuzberger Hardwax-Laden auf die Lieferungen neuester Technoweißpressungen aus England und den USA. Nicht zuletzt mit der Hilfe neuer Drogen wie Ecstasy entwickelt sich ein Spirit, den die Beteiligten im Nachhinein so beschreiben: „Nach ein paar Mal Planet fragte ich mich, ob wir gerade dabei sind, eine neue Religion zu gründen. So eine heidnische Urreligion, deren Anhänger und Stämme sich jedes Wochenende zu ihrem rituellen Tanz in ihrem Tempel zusammenfinden, um den großen Groove-Gott anzubeten und das Gefühl der Gemeinschaft zu stärken“, so der Musiker und Produzent 3 Phase. Und das einstige Palais-Schaumburg-Mitglied Thomas Fehlmann, der heute noch elektronische Musik produziert, erinnert sich, dass es „ja nicht in irgendwelche verspiegelten Diskotheken ging, sondern in Räume, in denen man sich wohlgefühlt hat und das Gefühl hatte, dass die Geschichte dort jede Woche weitergeschrieben wird. Und dass man Teil dieser Geschichte sein konnte.“

Der Spirit, das Gefühl, Geschichte selbst zu schreiben und mitzugestalten, Teil einer Jugendbewegung zu sein, einer sehr umspannenden zumal, in der sich Studenten genauso friedlich tummelten wie Hooligans aus Bernau oder Hamburger Zuhälter – daraus besteht eine weitere große Erzählung dieses Buches.

Die schließlich letzte handelt von der Professionalisierung. Von der Subkultur, die zu einer Kultur wird, wenn man es positiv formulieren möchte, wie Denk und von Thülen. Oder die eben „ausverkauft“ wird, wie es so manchen Technoaktivisten verbittert. Die vermeintlichen „Ausverkäufer“ kommen ebenfalls ausgiebig zu Wort, die Mayday- und Love-Parade-Macher, die Westbams, Marushas und Laarmanns. Vom „Majorbusiness mit allen Nebeneffekten“ ist auf einmal die Rede, von den „ordinary ravern“, die in Bussen von überall herangekarrt werden, von der Zigarettenmarke Camel, die die großen Events und auch Medien der Technoszene sponsort.

Es ist the same old story, wie man sie von anderen Subkulturen kennt: vom Punk, Hip-Hop, Grunge. Ja, wie man es auch von Berliner Stadtbezirken wie Prenzlauer Berg oder Kreuzberg kennt, wo das vermeintlich gute Alte – die bohemistischen Freiräume, das Ursprüngliche – dem vermeintlich bösen Neuen weichen muss, den Bürgern, Sponsoren, Hipstertouristen. Trotzdem lässt sich das Ganze auch so betrachten, wie es Alexander Branczyk tut, der einstige Artdirektor des Magazins „Frontpage“. Für ihn ist die Technobewegung mitverantwortlich für spätere „Sommermärchen“ und Public-Viewing-Events: „Auf diese Art kam ein ganz neues Deutschlandbild zustande. Die ,ugly Germans’ waren auf einmal total beliebt.“ So hat sich Techno für die einen tief im kollektiven Bewusstsein verankert, die Gesellschaft verändert – und so ist er für die Puristen spätestens mit der dritten Love Parade und der Verwendung von musikalischen Technoelementen durch DJ Ötzi oder Lady Gaga tief und fest begraben worden.

Felix Denk, Sven von Thülen: Der Klang der Familie. Berlin, Techno und die Wende. Suhrkamp, Berlin 2012. 432 S., 14, 99 €.

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