zum Hauptinhalt

Konzertkritik: Ben Folds: Gerockt mit Brille und Flügel

Er galt als Elton John des Indierock und wurde verlacht. Wie gut Ben Folds in Wirklichkeit ist, bewies er jetzt bei einem furiosen Auftritt im Kesselhaus.

Als Ben Folds Mitte der Neunziger zwischen all den verschwitzten Gitarrenrockern des Grunge auftauchte, war er erstmal ein guter Witz: ein bebrillter Nerd, der ausgerechnet das Klavier zu seinem Instrument erkoren hat. Der Elton John des Indierock. Inzwischen sind die meisten Grungehelden in der musikalischen Midlife-Crisis, aber Ben Folds geht es bestens. Im vollen Kesselhaus stellt er sich in seinem charakteristischen Ausfallschritt hinter den Flügel und hämmert los: „Rock this Bitch“ ist einer von mehreren Songs, in denen er seine instabilen Frauenbeziehungen – er ist mit 42 bereits zum vierten Mal verheiratet – aufgearbeitet hat.

Vorwärts getrieben von einer vierköpfigen, natürlich gitarrenfreien Band, in der Jared Reynolds mit fies verzerrtem Bass einen Teil der Melodiearbeit übernimmt, fliegen Folds Finger über die Tasten. Was indes nie zum artistischen Selbstzweck verkommt: Erst nach einer halben Stunde setzt er bei „Kylie from Connecticut“ zu einem Solo an.

Folds brilliert als virtuoser Akkordwühler, noch wichtiger aber ist er als herausragender Songschreiber, der seine Stücke oft radikal uminterpretatiert. So gibt es zwei Versionen von „Dr. Yang“: die erste als sonniger Power-Pop, dessen melodischer Stammbaum bis zu „Penny Lane“ zurückreicht, die zweite als harsche Punk-Explosion.

Die Band verleiht den Songedelsteinen mit präzisem Satzgesang und pointierten Minisoli den letzten Schliff. Bei „Free Coffee“ demonstriert Folds, wie man den alten Avantgarde-Trick des präparierten Pianos gewinnbringend für die Popmusik nutzen kann.

Eine Handvoll Balladen spielt und singt er solo: intensiv, ernst, ergreifend. Dann wird wieder die Hitmaschine angeworfen, bis Folds nach zwei mitreißenden Stunden seinen kaum benutzten Klavierhocker schwungvoll auf die Tasten pfeffert. Hier geht niemand ungerockt nach Hause.

Jörg W, er

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false