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Eine Würdigung: Graham Parker zum Sechzigsten

Voller kraftstrotzender Energie kreischte Graham Parker einst seine eloquenten, scharfkantigen Songs ins staunende Publikum. Inzwischen ist der "Angry Young Man" ruhiger geworden. Am Donnerstag feiert er seinen 60. Geburtstag.

Im Oktober 1975 stand da plötzlich dieser kleine schmächtige Bursche auf der Bühne der Londoner "Newlands Tavern", aufgetaucht aus dem Nirgendwo, mit großer schwarzer Sonnenbrille: Graham Parker - ein zorniger, junger Mann. Voller kraftstrotzender Energie kreischte er seine eloquenten, scharfkantigen Songs ins staunende Publikum: Was ist das? Ein Typ mit kurzen Haaren singt aggressive Dreiminuten-Songs, befeuert von "Teenage Angst", dem Geist des Rock 'n' Roll der 50er und von R&B, Beat, Soul, Ska und Rocksteady der 60er. "Back To Schooldays" heulte er mit nörgelnder Stimme. Da war er 24, und schon eine ganze Weile raus aus der Schule. Und was er jetzt musikalisch machte, war völlig abseits jeglicher Trends.

Vorher war er ein paar Jahre auf dem Hippie-Pfad mit seiner Gitarre durch Europa gereist, 1975 lebte Graham Parker wieder bei seinen Eltern in Deepcut, Surrey, einem kleinen Dorf südwestlich von London. Sein Geld verdiente er als Tankwart auf der örtlichen Tankstelle. Die Hippie-Haare hatte er kurz geschnitten, in seiner Freizeit schrieb er Songs und träumte davon, mit einer Band zu spielen. Also setzte er eine Kleinanzeige in die Musikzeitschrift "Melody Maker": "Singer/Songwriter sucht Band. Vorlieben: Van Morrison, Stones, Dylan."

Es meldeten sich einige Spinner und Typen, die auf "Prog Rock" standen, die ganzen Bands, die damals angesagt waren: "Emerson, Lake & Palmer", "Genesis", "Yes". Das war nichts. Parker langweilte diese Musik. Zu bombastisch, zu aufgeblasen, die Songs und die Haare zu lang, ausufernde Soli, prätentiöses Getue, zu weit weg vom echten Leben, von seinem Leben als songschreibendem Tankwart. Er wollte etwas anderes. Eher so etwas wie Dr. Feelgood, diese neuen Wilden aus Canvey Island mit ihrem groben Themse-R&B, ihren kurzen Haaren, ihren Anzügen und ihrem zornigem Auftreten.

Vorlieben: Van Morrison, Stones, Dylan

Der junge Graham Parker hatte keine Ahnung, was sich zu der Zeit jenseits des Mainstreams musikalisch im nah gelegenen London tat. Welche Bands dort in den Pubs auftraten. Gruppen, die in kleinen Kaschemmen spielen mussten, weil sie mit ihrer Musik sonst keine Auftrittsmöglichkeiten fanden. Bands mit einer wunderbar einfachen, knalligen "Back To Mono"-Musik, aus der ein Genre werden sollte: "Pubrock". Ein Etikett, das irgendwann auch Graham Parker aufgeklebt wurde.

Anfang 1975 saß er noch in seiner Tankstelle und vermutlich niemand außer ihm selbst dachte daran, dass noch einmal etwas aus ihm werden könnte. Was dann aus ihm wurde, ging ziemlich schnell, so schnell, dass es ihn selber überraschte. Nachdem er eher zufällig Dave Robinson kennen gelernt hatte, den späteren Chef des legendären Londoner Independant Labels "Stiff", der sofort das herausragende Talent des außerordentlichen Sängers und Songschreibers erkannte, begann Parkers Karriere zu rollen. Mitte 1975 hatte ihm jener Robinson als sein neuer Manager eine erstklassige Band zur Seite gestellt, die sich aus Pubrockveteranen von "Brinsley Schwarz" und "Ducks DeLuxe" rekrutierte. Von denen hatte Parker selbst vorher nie etwas gehört.

Gemeinsam nannten sie sich Graham Parker & The Rumour, machten die Runde durch die Clubs, brachten 1976 die beiden sensationellen Alben "Howlin' Wind" und "Heat Treatment" heraus und wurden zu einer der aufregendsten englischen Bands jener Zeit sowie zu Wegbereitern einer neuen Welle, auf der auch Elvis Costello & The Attractions und Joe Jackson nach oben gespült wurden.

Auf der Bühne war Graham Parker eine elektrisierende Sensation. In seiner Person, seinen Songs, seinen Texten, seiner Stimme, seiner Phrasierung, seiner berauschenden Mischung aus Tempo, geballter Energie und trotzig melancholischen Balladen bündelten sich die Vorbilder Van Morrison, Bob Dylan und die Rolling Stones zu einem neuen eigenen Sound. Einem Stil der - zunächst völlig abseitig - in der Zeit von Punk und New Wave schließlich zur vollen Blüte kam, und dabei als Sänger, Songschreiber und Live-Musiker den meisten Punkbands weit überlegen war.

Eine elektrisierende Sensation auf der Bühne

Parker tourte ausgiebig, spielte in Amerika und auf dem europäischen Kontinent, gewann immer mehr Fans, wurde zusehends populärer. Im Februar 1977 trat er im legendären Berliner "Kant Kino" auf, im April 1978 in der "Neuen Welt" an der Hasenheide. Unvergessliche Konzerte. Unvergesslich auch das Konzert vom 11. Juni 1982, weil es abgesagt werden musste. An jenem Tag tobte um das Metropol am Nollendorfplatz, wo Graham Parker auftreten sollte, ein wilder Straßenkampf anlässlich der Proteste gegen den Besuch des damaligen amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan. Nollendorf- und Winterfeldtplatz glichen einem Schlachtfeld. Die Band ist nicht zum Auftrittsort durchgekommen.

Als Parker das nächste Mal nach Berlin kam, hatte er in der Zwischenzeit etliche weitere exquisite Platten veröffentlicht, darunter "Squeezing Out Sparks" (1979) und "The Up Escalator" (1980) als seine letzten Kollaborationen mit "The Rumour". Es folgten "Another Grey Area" (1982), "The Real Macaw" (1983), "Steady Nerves" und "The Mona Lisa's Sister" mit unterschiedlichen Begleitmusikern.

Später war Parker alleine unterwegs, nur mit Gitarre, Mundharmonika und Stimme. So spielte er auch im Februar 1991 im Berliner "Quartier Latin" an der Potsdamer Straße Soloversionen seiner unverwüstlichen, zeitlosen Hits: "Back To Schooldays, "White Honey", "Watch The Moon Come Down", "Don't Let It Break You Down", "Hotel Chambermaid", "Heat Treatment" und "Hey Lord, Don't Ask Me Questions".

Irgendwann verschwand Graham Parker in die USA, heiratete, wurde Familienmann, veröffentlichte den Kurzgeschichtenband "Carp Fishing on Valium" (2000) und den Roman "The Other Life Of Brian" (2003). Obwohl er seit seiner letzten Europatournee im Jahr 1998 vielleicht aus der Wahrnehmung vieler hiesiger Fans verschwunden ist, nahm er weiterhin regelmäßig neue Songs für gute Alben auf, die immer mehr seine Vorliebe für melancholische Balladen und für den reiferen Bob Dylan widerspiegeln. Gerade ist seine neuste Platte "Imaginary Television" erschienen.

Auf die Frage, was aus dem "Angry Young Man" von einst geworden sei, antwortete Parker, er sei nun mal älter geworden und fände es etwas albern, würde er sich heute noch wie ein 24-Jähriger gebärden. "Man, I'm pushing on 60!" Am heutigen 19. November ist Graham Parker 60 geworden.

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