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Konzert-Kritik: Kreatives Dilemma zum Mitgrölen

Zwischen B-Klasse-Pop und fantastischen Hymnen: Die Kaiser Chiefs haben am Montagabend eine Bewährungsprobe bestanden.

Es gehört zu den Pflichten des Konzertchronisten, unvoreingenommen auch solchen Bands eine zweite Chance zu geben, die man eigentlich schon abgeschrieben hatte. Manchmal wird man dabei positiv überrascht. So etwa bei den Kaiser Chiefs: Das Quintett aus Leeds hat nach seinem sensationell erfolgreichen Debütalbum „Employment“ etliche der gerade gewonnenen Fans mit B-Klasse-Britpop wieder vergrault. Weil ihnen neben vielen mediokren Songs aber immer noch echte Hits gelingen, ist die Columbiahalle am Montagabend gut gefüllt.

Früher waren die Kaiser Chiefs eine mäßige Liveband: Oft drohten sie zwischen den in verschiedene Richtungen zielenden Egomanien von Sänger Ricky Wilson und Schlagzeuger und Songautor Nick Hodgson zerrieben zu werden. Jetzt scheint die bandinterne Chemie besser zu funktionieren.

Hodgson überlässt Wilson weitgehend das Scheinwerferlicht, der sich seinen Frontmann-Status mit Mikrofongewirbel, Sprungeinlagen und unermüdlicher Publikumsanimation hart erarbeitet. Dafür nimmt sich Hodgson mehrmals die Freiheit, mit Gitarrist Andrew White, der mit seinem ikonenhaften Sixties-Haarhelm wie ein Klon von Byrds-Gitarrist Gene Clark aussieht, aus dem Strophe-Bridge-Refrain-Schema auszubrechen und pieksende Lärmapplikationen in die Songs einzustreuen. Zudem ist der an Vorbildern wie The Jam oder The Kinks geschulte Gruppensound präziser und druckvoller geworden, wozu zweifellos die gewachsene Routiniertheit der Band beiträgt. Während sich die Kaiser Chiefs früher alle Mühe gaben, ihre Stücke unfallfrei runterzuschrubben, darf es heute schon mal ein zusätzliches Gitarrensolo hier oder eine Disco-infizierte Keyboardbreitseite dort sein.

Den Wiedererkennungswert ihrer Hits schmälert das nicht im Geringsten: Schon zu den ersten Takten von „Ruby“, „Never Miss A Beat“ oder „I Predict A Riot“ tobt die Halle, singen tausend Kehlen jede Textzeile mit. Das kreative Dilemma der Briten spiegelt „The Angry Mob“ wider: Zweieinhalb Minuten eiert der Song spannungsfrei dahin, eher er sich zu einem fantastischen Mitgröhl-Chorus aufschwingt, den man einfach nicht mehr aus dem Ohr bekommt.

Nach 70 Minuten stimmen die Kaiser Chiefs „O My God“ an, die ultimative Hymne der Generation Easyjet, mit der Textzeile „I‘ve never been this far away from Home“. Der enthemmte Partymob springt auf und ab, als gäbe es kein Morgen. Überzeugendes Aufbäumen einer Band am Scheideweg.

Jörg W, er

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