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Staatsoper: Und eins! Und zwei!

Staatsoper hautnah: Der Theaterpädagoge Rainer O. Brinkmann bringt Laien den Sog des Bühnendaseins nahe.

Ein hölzerner Wegweiser steht auf dem leeren Podium: zur Hölle nach links, zum Himmel nach rechts. In der Nachmittagshitze wirkt die Probebühne der Berliner Staatsoper wie eine Mischung aus Schulaula und Turnhalle. Schwarze Vorhänge auf der Bühne, metallene Geländer an den Wänden, Klebestreifen auf dem Boden, Linoleumgeruch, schwitzende Schüler und Lehrer. Das Zehlendorfer Schadow-Gymnasium hat seine „Faust“-Performance selbst geschrieben, gemeinsam mit Musikern der Staatsoper komponiert und auch ein lebendes Bild hineinchoreographiert: ätherische Lichtgestalten mit pathetisch erhobenen Armen links, dumpf schmorende Verdammte rechts. Momentan allerdings kichern die Ätherischen vor sich hin, während die Verdammten noch nicht aufgetaucht sind. Auch zeigt der Wegweiser bislang in die falschen Richtungen. Ratlosigkeit, Durcheinander.

„Kommt, Ende der Diskussion, wir müssen heute noch durch das ganze Stück.“ Rainer O. Brinkmann streift aufmerksam durch die Schülergruppen, korrigiert Positionen. Kurz vor der Aufführung der „Faust“-Adaption, an der die Schadow-Schüler mit seiner Hilfe ein Dreivierteljahr gebastelt haben, muss der Theaterpädagoge überall gleichzeitig sein. Das „Antreiben“ von Schülern aber ist Brinkmanns Sache nicht. Der schmale, hochgewachsene Mittvierziger mit dem kahl rasierten Schädel grinst. „Es ist ganz normal, dass die Schüler erst kurz vor der Vorstellung begreifen, dass sie hier Verantwortung für ein Produkt haben – und nicht nur dem Lehrer gefallen sollen. Auf diesen Sog, in den alle reingezogen werden, warte ich gerade. Dann geht’s richtig ab.“

An der Staatsoper nennen sie ihn „Rob“, nach seinen Initialen. Und in Berliner Pädagogenkreisen ist Rob so etwas wie eine Marke. Die Opernworkshops, die auch für die kommende Spielzeit wieder geplant sind, erwartet man hier mit Spannung: Warst du schon bei Rob? Es klingt wie die Empfehlung einer Spezialtherapie – für Lehrer, die mit Musiktheater neue Formen des Unterrichts ausloten wollen, aber auch für alle anderen. Gruppen bekommen Textpassagen und Musikschnipsel aus einer Oper, entwickeln in Rollenspielen ihre eigene Version einer Figur: eine alleinerziehende Mutter als Madame Butterfly, ein gestresster Bankkaufmann als Figaro. Anleitung zum Einfühlen ist Brinkmanns Kernkompetenz, deswegen hat ihn Intendant Peter Mussbach vor sechs Jahren ans Haus geholt. „Die Leute sind in meinen Kursen einfach gezwungen, Kreativität zu entwickeln. Wenn ich aufhöre zu reden und sie selber anfangen sollen zu improvisieren, suchen viele nach dem Ausgang. Auf diesen Fluchtblick warte ich immer schon.“ Brinkmann spricht sanft und grinst hinter seinem Ziegenbärtchen. In das „Faust“-Projekt würde er als Mephisto gut hineinpassen. „Hinterher sind die Leute dann ganz verwundert und beglückt, dass sie richtig gespielt haben, vier Stunden lang. Sie haben wildfremden Menschen eine Liebeserklärung gemacht oder jemanden ermordet.“ Was man in der Oper eben so tut.

Gesungen wird natürlich auch. Die Schadow-Schüler haben sich für ihren Faust, der am Ende doch noch in den Himmel kommt, einen Jubelchor ausgedacht. Von Jubel ist zunächst allerdings noch nicht viel zu spüren. „Nehmt die Arme mit! Ihr kennt doch diese Gospelchöre! Wie bewegen die sich?“ Einige Mädchen schunkeln verlegen. „Genau das brauchen wir! Und die Arme immer höher! Denkt an eure nächste Party!“ Auch in der letzten Reihe bewegen sich ein paar Jungs jetzt von einem Bein aufs andere und singen auch endlich die höheren Töne mit.

Seit dem Film „Rhythm is it!“ erwartet man von der Musikpädagogik seifenopernartige Wandlungen vom Schlägertyp zum raffinierten Künstler. Doch auch der Erfolg Brinkmanns, der einer der profiliertesten deutschen Opernpädagogen ist, beruht auf zäher Arbeit. Nur so ist überhaupt die Fülle der Veranstaltungen möglich, die das pädagogische Programm der Staatsoper bietet: „Staatsoper unter der Lupe“, der allsonnabendliche Erwachsenen-Kurs, „Spiel mal Oper“ für Eltern und Kinder, die Fortbildungen für Lehrer zu einzelnen Opernthemen. „Ich habe gerade die nächste Spielzeit durchgeschaut und die totale Krise gekriegt, was wir eigentlich alles machen.“ Das berühmte Rob-Grinsen: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.

Stolz schwingt auch mit. Gerade konzipiert Brinkmann das pädagogische Rahmenprogramm für die Zeit nach den Schulferien. Diesen Herbst wird „Der geduldige Sokrates“ von Georg Philipp Telemann gespielt – auch hierzu wollen Themen für Schüler ausgedacht und entwickelt werden. Außerdem plant Brinkmann nach der Sommerpause ein eigenes Projekt: „Wir wollen einen Opernjugendclub gründen. Die Zielgruppe liegt so zwischen vierzehn und zwanzig Jahren. Wenn da interessierte Leute kommen und ein gutes Thema finden, können sie auch eine eigene Produktion machen.“ Ein Zuschauklub soll parallel dazu dramaturgische Vorbereitungen für die Stücke treffen und ein Bühnenbild entwerfen.

In Brinkmanns Augen ein weiterer Schritt, in der Oper kein Museum, sondern einen Steinbruch für spannendes, neues Theater zu entdecken: „Bei den Schülerprojekten lernt man, die Stücke zu zerschnipseln, sich das Spannende und Machbare rauszusuchen, ein Kunstwerk von vorne bis hinten gemeinsam zu entwickeln.“ Brinkmanns Idee, Laien gemeinsam mit Opernprofis improvisieren zu lassen, trifft zwar noch auf Widerstände. Doch seine Arbeit ist innerhalb des Hauses in aller Munde – schließlich sind dauernd Schulklassen in der Oper.

„Ruhe wohl, Fa-ha-ha-haust, ruhe wohl in Frie-hie-den“, brummt das Team müde. Jetzt gibt es doch eine konventionelle pädagogische Maßnahme, nämlich gespielten Ärger: „Ich dachte, ihr seid vom Gymnasium! Aus Zehlendorf!“ Gegluckse, nicht nur bei den Ätherischen. So richtig böse kann Brinkmann heute ohnehin nicht werden. Es ist einfach zu heiß.

Informationen zu Workshops und zum Jugendclub: operleben@staatsoper-berlin.de oder 030 - 20 35 44 89.

Matthias Nöther

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