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Auftritt der Woche: Tracy Chapman: Ein Herz für Außenseiter

Am Mittwoch singt Tracy Chapman im Tempodrom. Auch ihr neues Album steht in der Tradition der Folkies aus den Sechzigern. Ob es diesmal wieder ein Triumph wird?

November in Berlin – für Tracy Chapman scheint das die richtige Zeit am richtigen Ort zu sein. Genau vor drei Jahren hatte die Amerikanerin ihren letzten Auftritt in der Stadt. Und es muss toll gewesen sein, damals im Tempodrom. Die Songwriterin wurde mit tosendem Jubel begrüßt – und ebenso verabschiedet, nachdem sie als Zugabe eine astreine Coverversion von Nirvanas „Come as you are“ gespielt hatte. Ob es diesmal wieder ein Triumph wird? Vieles spricht dafür, hat die 44-Jährige doch gerade mit „Our Bright Future“ eine überraschend starke Platte veröffentlicht, mit der sie sich auf ihre alten Stärken besinnt.

Die hatte Chapman auf ihrem Debütalbum demonstriert, mit dem sie die Musikszene aufmischte. 1988 platzte „Tracy Chapman“ in eine von Corporate Rock, Rap, New Country und Hair-Metal dominierte Poplandschaft. Dennoch verkaufte sich die Platte mit den spartanisch arrangierten Liedern einer bis dahin unbekannten Künstlerin aus Cleveland millionenfach und gehört zu den 100 erfolgreichsten Alben aller Zeiten. Chapman, die sich in Gestus und Haltung an den Folkies der 60er orientierte, besang die Kehrseite des amerikanischen Traums, das Schicksal der Gescheiterten, Ausgestoßenen. In einer Zeit, als die Auswirkungen der „Reaganomics“ auf die US-Gesellschaft nicht mehr zu leugnen waren, kamen ihre leisen, präzise artikulierten Songs gerade recht. Ihr größter Hit „Fast Car“ wirkte wie eine pessimistische Replik auf Springsteens „Born to run“, während das aufrührerische „Talkin’ ’bout a Revolution“ in den Demolied-Kanon linker Protestbewegungen aufgenommen wurde.

Dass Tracy Chapman eine geborene Live-Performerin ist, stellte sie mit ihrem ersten großen Auftritt unter Beweis: Beim Benefiz-Konzert zu Nelson Mandelas 70. Geburtstag im Juni 1988 sprang sie in die Bresche, als Stevie Wonder seinen Beitrag wegen technischer Probleme verschieben musste. Chapmans spontane Aktion riss nicht nur die Zuschauer im Wembley-Stadion von den Sitzen, die weltweite TV-Übertragung dürfte ihren Hörerkreis schlagartig vervielfacht haben.

Durch ihren Erfolg etablierte Chapman ein neues Popkarrieremodell, das selbstbewussten Songwriterinnen wie Ani DiFranco oder Tori Amos Türen öffnete. Zwar erreichte sie selbst nie wieder die Verkaufszahlen ihres Debüts, blieb aber eine Künstlerin, auf die man zählen konnte. Schlecht war keins ihrer bislang acht Alben, und die letzten beiden, „Let it rain“ und „Where you live“, zeigten bereits eine ansteigende Formkurve, die von „Our Bright Future“ bestätigt wird.

Über Tracy Chapmans Privatleben erfuhr man eher wenig. Obwohl seit längerem spekuliert wird, ob sie lesbisch ist, hat sie sich nie eindeutig dazu geäußert. 2006 gab die Schriftstellerin Alice Walker Auskunft über eine Beziehung, die sie in den Neunzigern mit ihr hatte. Was den Verdacht erhärtete, dass Chapmans zärtlichster Song „Baby can I hold you“ an eine Frau gerichtet war. Menschen mit Y-Chromosom werden’s verkraften, solange sie bei ihren gerade wieder brandaktuellen Liedern mitsingen dürfen. Und jetzt alle: „Don’t you know, were talkin’ about a Revolution that sounds (like a Whisper)“

19.11., 20 Uhr, Tempodrom, 49 Euro

Jörg W, er

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