zum Hauptinhalt
279716_0_322d1a67.jpg

© Troy Stains

Porträt: Ulrich Schnauss und Shoegaze: Hinhören!

Ulrich Schnauss denkt den Hype schon von seinem Ende her. Wie so oft werde da etwas hochgeschrieben und dann wieder runtergemacht. Mit der neuen Shoegaze-Welle erlebt der deutsche Musiker derzeit in seiner Wahlheimat London einen Boom. Am Wochenende tritt er in Hamburg beim ersten deutschen Shoegaze-Festival auf.

Von Markus Hesselmann

Ulrich Schnauss vertritt die elektronische Variante dieses spezifischen Sounds. Shoegaze ist ein langer, nur vordergründig ruhiger Fluss. Diese Musik lebt von den unaufdringlichen Variationen, dem einen Akkord, der nur leicht, aber effektvoll variiert wird. Gleiches gilt für den Rhythmus, der nicht auf Tanzbarkeit, sondern aufs Hinhören abzielt.

Außerdem ist Shoegaze eine Haltung, wie der Begriff es schon andeutet: Diese Musiker verabscheuen die Show. Sie starren buchstäblich lieber auf ihre Schuhe, statt sich ans Publikum ranzuschmeißen. Die Vorläufer der neuen Shoegaze-Welle sind Achtziger- und Neunzigerbands wie My Bloody Valentine oder Spacemen 3. Die Ahnen aber kommen aus Deutschland: Neu!, Harmonia, die frühen Kraftwerk. Für Schnauss persönlich waren vor allem Tangerine Dream maßgeblich.

Wehe, wenn Peaches Geldof reinschneit

Schnauss sieht den Hype zwiespältig. Einerseits sei es ja gut, dass man jetzt Sachen an ein breiteres Publikum bringen könne, die vorher nicht interessierten. Andererseits wohnt der allgemeinen Aufregung wie immer schon ihr Ende inne. "Auf Peaches Geldof auf meiner Gästeliste kann ich gut verzichten", sagt Schnauss. Wenn professionelle Partygänger wie Bob Geldofs Tochter kommen, dann ist der Dekadenzpunkt erreicht. Der Abstieg beginnt - ebenso öffentlich zelebriert wie der Aufstieg zuvor.

In Deutschland droht dem Hype noch nicht das Ende - er hat ja noch gar nicht begonnen. Immerhin ist in Hamburg für dieses Wochenende der "1st German Shoegazer Weekender" anberaumt. Mit Ulrich Schnauss. Vorher war er für einen kleinen Gig in Berlin. Der Bang Bang Club in Mitte war am Mittwochabend zwar nur halb gefüllt. Doch die Leute, die da waren, ließen sich mit Lust auf Schnauss und seinen breitwandigen Sound ein - samt der Ahnung, dass künftig von diesem Mann noch viel mehr Spannendes kommen wird (Konzertkritik hier).

London vs. Berlin

An seine alte Wahlheimat hat Schnauss ansonsten nicht allzu gute Erinnerungen. Vor seinem Umzug nach London lebte der gebürtige Kieler Ende der Neunzigerjahre in der deutschen Hauptstadt. Berlins Musikszene hält er für zu engstirnig. "Hier heißt es immer: Du musst dich entscheiden", sagt Schnauss. In Deutschland müsse man sich konsequent auf eine Musikrichtung festlegen. "Ich aber möchte so viele Einflüsse wie möglich aufnehmen." Dafür ist die britische Hauptstadt, die sich seit Jahrhunderten lustvoll von der ganzen Welt beeinflussen lässt und im Gegenzug die ganze Welt beinflusst, sicher der bessere Ort.

In Deutschland ist Konsequenz alles, auf der Insel eher keine Tugend. Darin sieht auch einer wie Ulrich Schnauss durchaus eine Gefahr: die Beliebigkeit. Ein bisschen deutsche Konsequenz, mit der nicht zuletzt Kraftwerk und Neu! daheim gegen alle Widerstände und Skepsis zu Werke gingen, hilft den Briten hin und wieder auch weiter. Nicht nur den Shoegazern unter ihnen.

Probehören hier: http://www.myspace.com/ulrichschnauss

Sind uns gute neue Bands, DJs etc. aus Berlin entgangen? Nennen Sie uns Ihren Geheimtipp, dazu klicken Sie bitte hieroder schicken Sie uns eine Email mit Ihrem Berliner Geheimtipp samt kurzer Begründung an: popmusik@tagesspiegel.de.


Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false