zum Hauptinhalt
213957_0_a7f164de

© dpa

Preis für Dea Loher: Die dunkle Seite der Sehnsucht

Utopie, egal wie: Für ihr Stück „Das letzte Feuer“ ist Dea Loher mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet worden. Lohers Figuren mögen alles verloren haben - an der Sehnsucht halten sie fest.

Es herrscht eine knochenbrechende Kälte in den Stücken von Dea Loher, sie erzählen von Krieg, Tod und Verstümmelung, von Versehrten an Leib und Seele, die längst den emotionalen Gefrierpunkt erreicht haben. Und doch, und das ist das eigentlich Irritierende bei dieser Dramatikerin, strahlt in ihrem Unglücks- und Katastrophen-Kosmos immer wieder auch Wärme auf – in Momenten des irrationalen Aufbegehrens gegen die totale Sinnlosigkeit, der trotzigen Behauptung von Menschlichkeit, wo eigentlich keine Hoffnung mehr ist. „Das letzte Feuer“ heißt das Stück, mit dem die 1964 in Traunstein geborene Schriftstellerin nun den mit 15.000 Euro dotierten Mülheimer Dramatikerpreis gewonnen hat, es ist bereits ihr zweiter Erfolg dort, 1998 wurde sie für ihr Stück „Adam Geist“ ausgezeichnet.

„Das letzte Feuer“, von Lohers langjährigem, hochgeschätzten Theaterwegbegleiter Andreas Kriegenburg am Hamburger Thalia-Theater inszeniert, entzündet sich einmal mehr an diesem Wechselspiel zwischen viel Schatten und wenig Licht. Es handelt, unter anderem, von einem Jungen, der totgefahren wird, einer Polizistin, die den Fahrerflüchtling für einen gesuchten Attentäter hält, sowie einem Augenzeugen namens Rabe, der aus dem Krieg heimgekehrt ist und sich am Ende mit Benzin übergießt. Die „Mater dolorosa unter den deutschsprachigen Dramatikern“ nannte eine Kritikerin Dea Loher einmal so schön. Wobei Loher, das dringt durch jede schwarze Zeile, ihre verlorenen Figuren liebt und ihre nachtfinsteren Gegenwelten nicht um des Schocks willen entwirft – das sei nun einmal ihre Sicht auf die Welt.

Die Glücklichen, möchte man hinzufügen, haben auf der Bühne ja auch nichts zu suchen. Lohers Figuren hingegen schon – nämlich Auswege aus dem Dunkeln, ein neues Leben, endlich die Liebe. „Tätowierung“, eines ihrer ersten Stücke, erzählt vom sexuellen Missbrauch in der Familie als lebenslangem Stigma, „Adam Geist“ handelt von einem jungen Todessehnsüchtigen, der davon träumt, „das Leben, das mich so lange gefangen gehalten hat in Dunkelheit und Taubheit, zu zerbrechen, endlich“. Ein späteres Stück, „Das Leben auf der Praca Roosevelt“, entwirft ein Sao-Paulo-Kaleidoskop der Ausgestoßenen, der Krebskranken, Transvestiten, Waffenfabrikanten.

Lohers Menschen mögen fast alles verloren haben – an der Sehnsucht halten sie fest. „Eine Utopie als unerfüllbaren Wunsch kann man gar nicht verlieren“, sagt Loher. Als erklärte Utopistin, die einst den Studiengang „Szenisches Schreiben“ bei Heiner Müller besucht hat, geht sie mit Wortgewalt und Bildmacht zu Werke. Wilfried Schulz, der Intendant des Staatsschauspiels Hannover, lobte als eines von fünf Mülheimer Jurymitgliedern, die einstimmig für Lohers „Letztes Feuer“ votierten, ihre „klare, präzise, doch hochpoetische, farbige und bildreiche Sprache, die viel Realität in sich aufgesogen hat“.

Das sollte allerdings nicht zu der Annahme verführen, Lohers Stücke und Prosatexte strebten nach Realismus. „Schreiben, das heißt, Zusammenhänge suchen, Erklärungen, Hypothesen, auf der Suche nach der verlorenen Wahrheit manchmal, aber diese Suche wird dann wertvoll, wenn sie sich von der Realität abfedert und Räume öffnet, die es so nur in der Sprache gibt und die unsere Wirklichkeit erweitern“. Das sagte Loher in ihrer Dankesrede anlässlich der Verleihung des Augsburger Brecht-Preises vor zwei Jahren. Zuvor war sie in Afghanistan gewesen, wo sie unter anderem Workshops für Theaterstudenten gehalten und ein in Hoffnungslosigkeit versinkendes Land erlebt hatte.

„Land ohne Worte“ ist trefflich einer ihrer jüngeren Monologe betitelt, der kürzlich zusammen mit dem Text „Berliner Geschichte“ von, wem sonst, Andres Kriegenburg an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde. Dieses Traum- und Albtraumpaar des Theaters, Loher und Kriegenburg, wird man wohl bald regelmäßig in Berlin erleben, wo Dea Loher wohnt, aber bislang kaum aufgeführt wird. Am Deutschen Theater des künftigen Intendanten Ulrich Khuon, der die Arbeitsfreundschaft der beiden seit Jahren am Hamburger Thalia fördert, dürfte sich das ändern. Eine gute Nachricht für Freunde der Nacht.

Zur Startseite