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Bilderbuchlesung im WELTSTUDIO der Ausstellung BERLIN GLOBAL im Humboldt Forum

© Stadtmuseum Berlin/MICHAEL SETZPFANDT

Protest gegen Dragqueen-Lesung im Humboldt Forum: „Es geht an keiner Stelle um Sexualität“

Im Rahmen eines Aktionstags für Kinderrechte lesen Dragqueens in Berlin Bilderbücher vor. Die AfD hat eine Protestkundgebung angekündigt, die Veranstalter halten an ihrem Plan fest.

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Bilderbuch-Lesungen gehören im Humboldt Forum seit Jahren zum festen Wochenendprogramm. Auch am kommenden Sonntag sind wieder Kinder ab drei Jahren mit ihren Eltern eingeladen, in gemütlicher Atmosphäre Geschichten anzuhören, diesmal geht es um einen unsicheren Teddybär und um einen zwielichtigen Wolf, der zum Chef der Tiere gewählt wird.

Was an diesem Wochenende anders ist: Auf dem Weg zur Veranstaltung könnten die Kinder vor einem der vier Eingänge an Menschen vorbeilaufen, die lautstark fordern, man solle die Finger von ihnen lassen.

Die Berliner AfD hat zu einer Protestkundgebung mit dem entsprechenden Titel geladen, ihr Unmut richtet sich gegen die Vorlesenden an diesem Sonntag: die Dragqueens Vivienne Lovecraft und Kaey.

Schon vor zwei Jahren gab es öffentlichkeitswirksamen Protest gegen Veranstaltungen, bei denen Dragqueens Kindern vorlasen, losgetreten wurde die Debatte damals von einem CSU-Politiker in München, der sich gegen eine geplante Lesung in der Münchner Stadtbibliothek aussprach. Die „Bild“-Zeitung berichtete und zitierte einen warnenden Psychologen. Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) sprach von „Kindswohlgefährdung“, die frühere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) brachte den Begriff „Pädophilie“ in die Debatte ein. Die AfD griff das Thema schnell auf und stellte einen Verbotsantrag.

Vorwurf der „Frühsexualisierung“

Doch so plötzlich wie die Empörung aufgeflammt war, so schnell erlosch sie auch wieder. Diverse Veranstalter hielten an dem Konzept fest, so auch die Berliner Stiftung Stadtmuseum. Seit zwei Jahren organisiert man dort Lesungen mit Dragqueens an unterschiedlichen Orten, im vergangenen Jahr auch schon im Humboldt Forum – wie am kommenden Wochenende anlässlich des Tages, an dem 1989 die UN-Kinderrechte verabschiedet wurden.

„Das Feedback von den Familien war immer sehr positiv“, sagt die Direktorin des Stadtmuseums, Sophie Plagemann. Umso überraschender kam die Nachricht der Berliner Polizei zu der angemeldeten Demonstration.

Dass die AfD das Thema nun wieder auf dem Zettel hat, dürfte auch daran liegen, dass jüngst Ermittlungen gegen die bekannte Berliner Dragqueen Jurassica Parka bekannt wurden, im Raum stehen Vorwürfe des Besitzes und der Verbreitung von kinderpornografischem Material. Im Zuge der aktuellen Ermittlungen wurde dann auch publik, dass Parka bereits 2023 für die Verbreitung sowie den Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. Auch Parka las in der Vergangenheit für Kinder.

Die AfD wiederholt nun ihre Vorwürfe aus der Vergangenheit mit neuer Vehemenz. Der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Fraktion Berlin Thorsten Weiß erklärt dazu auf Anfrage: „Unsere Bedenken gegen die Lesung von Dragqueens vor Kindern beziehen sich vor allem darauf, dass eine nicht wünschenswerte Frühsexualisierung von Kindern durch die Konfrontation mit sexualisierter Thematik erfolgt. Es ist auffällig, dass Dragqueens regelmäßig vor Kindern lesen, aber seltsamerweise nie vor zum Beispiel Asylbewerbern oder einer Moscheegemeinde.“

Ob die Partei sich bei diesen Bedenken auf wissenschaftliche Erkenntnisse stütze und was Asylbewerber und Moscheegemeinden mit der Causa zu tun hätten, ließ Weiß unbeantwortet.

Ein Teddy, der sich anders fühlt

Auf der Werbegrafik für die Protestkundgebung hat die AfD eine Comic-Dragqueen in einem tief ausgeschnittenen Paillettenkleid abgebildet, sie liest aus einem Buch mit dem Titel „SEX“ in Regenbogenfarben.

Für Sophie Plagemann eine haltlose Darstellung: „Dieses Bild hat nichts mit der Realität zu tun. Bei unserem Programmtag und damit auch bei dieser Veranstaltung geht es jedenfalls um Vielfalt und um die Rechte von Kindern auf Selbstbestimmung. Die Bilderbuchlesung ist altersgerecht, die Eltern sind dabei. Um Sexualität geht es an keiner Stelle.“

Wenn solch eine Lesung auch nur einem Kind dabei hilft, nicht suizidal zu werden oder traumatisiert durchs Leben zu laufen, haben wir einen guten Job gemacht

Die Dragqueen Kaey

Die Dragqueen Kaey ist von den Unterstellungen der AfD nicht überrascht. „Die Kunst des Drag als eine sexualisierte Kunstform darzustellen, ist leider nichts Neues für uns. Doch wir sind Profis. Wir sind PerformerInnen. Genau wie SchauspielerInnen und SängerInnen. Unsere Aufklärungsarbeit umfasst auch mehr als nur Lesungen. Dragqueens geben Workshops, machen Diskussionsveranstaltungen in unterschiedlichsten Kontexten, lesen Prosa und Gedichte in Shows für Erwachsene vor. Diese Arbeit wird aber oft nicht wahrgenommen, weil sie nicht so einfach instrumentalisiert werden kann.“

Tatsächlich wird am Sonntag nicht „SEX“ auf Kaeys Bilderbuch stehen, sondern „Teddy Tilly“ und „Wählt Wolf“. Im Buch der australischen Autorin Jessica Walton geht es um einen Stoffbär, der sich mit seinem Namen Thomas nicht mehr wohl fühlt und damit hadert, seinem besten Freund zu erzählen, dass er lieber Tilly heißen würde. Es geht also um das Thema Geschlecht, nicht aber um Sexualität. In „Wählt Wolf“ erzählt der vielfach ausgezeichnete Italiener Davide Cali von den Gefahren durch Populismus. Die Auswahl wurde zusammen mit pädagogisch ausgebildeten Mitarbeiterinnen der Stiftung Stadtmuseum getroffen.

Der Protest der AfD habe sie durchaus verunsichert, sagt Kaey dem Tagesspiegel, über ein Absagen der Veranstaltung habe sie allerdings nicht nachgedacht. Auch, weil die Erfahrungen der vergangenen Veranstaltungen sie in der Bedeutung der Lesungen bestärkt hätten. „Ich bin selbst in einer Zeit aufgewachsen, in der es keine queere Repräsentation für Kinder und Jugendliche gab. Ich hätte mir gewünscht, solche Bücher zu haben, die wir jetzt vorlesen. Manchmal muss ich meine Tränen unterdrücken, weil es mich so berührt, dass ein Kind jetzt lernen kann, dass es okay ist, anders zu sein. Egal weshalb. Die Suizidrate unter queeren Kindern und Jugendlichen ist nach wie vor astronomisch hoch. Und wenn solch eine Lesung auch nur einem Kind dabei hilft, nicht suizidal zu werden oder traumatisiert durchs Leben zu laufen, haben wir einen guten Job gemacht.“

Dass die Kritik nun wohl auch in Zusammenhang mit Jurassica Parka stehe, sei ihr bewusst: „Wir distanzieren uns deutlich von der Künstlerin. Aber unsere Kunstform kann nicht für das Verhalten einer einzelnen Person geradestehen und unter Generalverdacht gestellt werden.“ 

Weil manche das anders sehen, müssen die Künstlerinnen am Sonntag unter Personenschutz auftreten, dazu werden pädagogische Mitarbeiter und ein Awareness-Team vor Ort sein. Der Berliner Verein Die Vielen hat eine Gegendemonstration angekündigt.

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