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Proustbetrieb: Eine kleine Genealogie der Familie des Erzählers der „Recherche“
Verzwickte Verbindungen: Wie ist der Verwandtschaftsgrad von Tante Léonie und Onkel Adolphe? Wer sind Céline und Flora? Ein Versuch.

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Wer mit der Lektüre von „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ beginnt, der „Recherche“, hat es zunächst nicht leicht mit der Familie des Erzählers. Klar, da ist die Mutter, sie spielt in Marcel Prousts gesamten Werk eine zentrale Rolle; klar, da ist die Großmutter, die bis zu ihrem Tod in dem Band „Guermantes“ eine nicht weniger wichtige Rolle spielt und von Proust immerhin einen (selten erwähnten) Namen bekommen hat, Bathilde.
Der Vater dagegen, obwohl durchaus von Bedeutung, nicht zuletzt weil der Sohn feststellt, dessen Temperament geerbt zu haben, hat im Gegensatz zu den beiden Frauenfiguren nur wenige Auftritte; auch sind die Eltern des Vaters unsichtbar, so wie übrigens Marcel, der Erzähler, auch ohne Geschwister bleibt (Proust hatte einen Bruder, Robert).
Die berühmten Schläge des Glöckchens
Doch wie verhält es sich mit den zahlreichen anderen Verwandten außerhalb des familiären Kerns? Denen, die ebenfalls alljährlich in Combray dabei zu sein scheinen und im Garten sind, als die berühmten Schläge des Glöckchens ertönen und Swann vor der Tür steht, um seinen Besuch zu machen und das Unheil des ausbleibenden Gute-Nacht-Kusses über den Erzähler zu bringen?
„Denkt daran, ihm in verständlicher Weise für seinen Wein zu danken, ihr wisst, er ist köstlich, und die Kiste ist riesengroß“, sagt der Großvater in „Combray“ zu seinen beiden fast urplötzlich auftauchenden Schwägerinnen. Der Großvater ist der Mann von Bathilde, also der Vater von Marcels Mutter, der immer mal leicht antisemitische Liedchen summt, wenn jüdische Freunde zu Besuch kommen. Amédée ist sein Name.
Doch die beiden Schwägerinnen, zwei Großtanten des Erzählers? Sie heißen Flora und Céline und sind Schwestern von Bathilde, überdies große Fans von Swann, auch weil er ihnen den Wein geschenkt hat. Sie tauchen nur kurz auf, aber eben namentlich. Und sie haben deshalb bei weitem nicht die Wichtigkeit von Tante Léonie, in der Proust sich nicht zuletzt selbst porträtierte.
Tante Léonie wird eingeführt als Tochter einer Cousine „meines Großvaters - meine Großtante.“ Léonie ist diejenige, „die seit dem Tod ihres Gatten, meines Onkels Octave, zunächst Combray, dann ihr Haus in Combray, dann ihr Zimmer, dann ihr Bett nicht mehr verlassen wollte;“.
Tante Léonie ist eine der Hauptfiguren von „Combray“, so wie, auch wenn er nur kurz auftritt, Onkel Adolphe, der später von der Familie nicht mehr empfangen wird. Ein Bruder von Amédée, ist Adolphe der Pariser Lebemann, der sich gern mit der „Dame in Rosa“ trifft, also der Prostituierten, die sich später als Odette entpuppt und Swanns Ehefrau wird.
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