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Kultur: Radio-Sinfonieorchester Berlin: Von den Eiertänzen eines Klangkörpers

Mit den Köchen und dem Brei ist es ja bekanntlich so eine Sache. Irgendwann kommen sich die Löffel ins Gehege.

Mit den Köchen und dem Brei ist es ja bekanntlich so eine Sache. Irgendwann kommen sich die Löffel ins Gehege. Die Mitglieder der Rundfunkorchester und -chöre GmbH (ROC) haben das in den letzten Jahren immer wieder erfahren müssen. 1994 wurden das Rundfunk-Sinfonieorchester, der Rundfunkchor, das Deutsche Symphonie-Orchester (früher Radio-Symphonie-Orchester), der RIAS Kammerchor und die Rias-Big-Band zur "Notgemeinschaft" zusammengezwungen - fünf selbstbewusste Berliner Institutionen, für die es nach der Wende eng wurde. Damals warfen vier Gesellschafter ihr Geld in die Waagschale, der SFB fünf Prozent, das Deutschlandradio 40 Prozent, Berlin zwanzig Prozent und der Bund 35 Prozent.

Die Krux mit den Köchen

Seit 1999 sind die Subventionen in Höhe von 56,2 Millionen Mark gedeckelt - bis 2004 geben die ROC-Gesellschafter keine Mark mehr für die Musik-Holding aus. Weil aber Gehälter trotzdem steigen und Sachmittel teurer werden, reicht das Geld nicht aus, um alle Ensembles weiter in der bisherigen Größe auszufinanzieren. Und weil Personalkosten den größten Etat-Batzen ausmachen, gibt es nur einen Weg, mit den eingefrorenen Mitteln auszukommen: es müssen Stellen gestrichen werden.

Wäre da nicht die Krux mit den Köchen: Die Gesellschafter nämlich trauen sich nicht, gemäß ihren finanziellen Vorgaben auch das Rezept für die ROC zu ändern. Jeder spürt seine Interessenvertreter im Rücken, keiner will den Brei anbrennen lassen. Also rühren alle vier hektisch im Topf herum, jeder in eine andere Richtung. Zum Beispiel im Fall von Kent Nagano, dem fotogenen amerikanischen Dirigenten japanischer Abstammung, einem weltweit bejubelten Pult-Charismatiker mit Mut zum Unkonventionellen. Er sollte als Nachfolger Vladimir Ashkenazys das DSO übernehmen. Nagano spielte mit offenen Karten: Er sei nur bereit, den Job zu übernehmen, wenn er für seine anspruchsvollen Projekte Extragelder bekäme. Die Gesellschafter nickten. Dann sagten sie, es wäre prima, wenn diese Mittel sich bei der Lotto-Stiftung oder beim Hauptstadtkulturfonds beschaffen ließen. Wenn dies nicht gelänge, würden sie die Summe aber auf jeden Fall bereitstellen. Der Vertrag wurde unterzeichnet, die Berliner Presse jubelte. Dann beauftragten die Gesellschafter den ROC-Intendanten Dieter Rexroth, einen Weg aus der Finanzkrise der ROC zu finden.

Rexroth, einer der ideenreichsten Dramaturgen im Klassik-Business, machte sich pflichtbewusst an die Arbeit - und präsentierte ein Konzept nach dem anderen. Keines fand bislang die Zustimmung der Gesellschafter. Denn Rexroth spricht klar aus, was niemand hören will: Dass Institutionen, die sich nicht zu klaren Prioritätensetzungen durchringen, sondern statt dessen immer neue Sparrunden "gerecht" auf ihre Mitglieder umlegen, früher oder später komplett vor die Hunde gehen. Wie das funktioniert, hat die Berliner Kulturpolitik in den letzten zehn Jahren vorgeführt: Jeder Reformansatz wurde von grauen Eminenzen und ihren privat oder politisch, aber nie künstlerisch motivierten Interessen im Keim erstickt. Genauso handeln die ROC-Gesellschafter, wenn sie ungedeckte Schecks ausstellen - wie im Fall Naganos.

Dabei hätte es allen klar sein müssen, dass eine Aufstockung beim DSO sofort das RSB auf den Plan rufen würde. Die ehemaligen Ostberliner Musiker nämlich fühlen sich innerhalb der ROC chronisch vernachlässigt - dabei sind sie doch das älteste aller deutschen Rundfunkorchester. Als dann auch noch Pläne bekannt wurden, dem RSB ein neues Profil zu geben und es dabei personell erheblich "einzudampfen", verstanden die Musiker die Welt nicht mehr. Dabei war die Idee nur nachvollziehbar: Das DSO und das RSB sind gleichgroß und spielen dasselbe Repertoire. Warum soll sich die ROC mit zwei identischen Mahler-Bruckner-Strauss-Orchestern selber Konkurrenz machen? Für den, der über den Berliner Tellerrand hinausschauen wollte, war eine unterschiedliche Profilierung der beiden Orcester ohnehin vernünftig: Schließlich ergänzen sich auch beim Bayerischen Rundfunk, beim NDR wie beim MDR je ein großes und ein mittleres Ensemle.

Dass auf diesem Weg aus der Finanzkrise das ältere RSB zum Juniorpartner werden sollte, lag nicht daran, dass hier "Westler" "Ostler" plattmachen wollten - sondern resultierte aus dem eigenen Verhalten der Musiker: Während das DSO sich für Nagano und damit für eine bewegte musikalische Zukunft entschied, drängte das RSB darauf, den Vertrag seines wenig innovativen Chefdirigenten Rafael Frühbeck de Burgos zu verlängern. Pech gehabt: Als die Umstrukturierungspläne für das RSB bekannt wurden, desertierte Frühbeck bei der erstbesten Gelegenheit.

Trotzdem erkannte das RSB die Zeichen der Zeit nicht: Anstatt bei den Gesellschaftern dadurch zu punkten, dass sie ebenfalls einen Überraschungskandidaten für den Chefposten präsentierten, entschieden sie sich wieder für die sichere Bank. Marek Janowski ist zweifellos ein intelligenter Musiker, für das Sinfonieorchester der Zukunft steht er aber nicht. Das manifestiert sich schon in seiner Fixierung auf die Planstellenzahl. Zu den Absonderlichkeiten des deutschen Orchestertarifvertrags gehört, dass sich die Bezahlung der Musiker nicht an Qualität orientiert, sondern an ihrer Größe. Obwohl die ROC-Leitung dem RSB in ihrem Verkleinerungskonzept gleichbleibende Bezüge garantierte, schien den Musikern eine Orchesterstärke unter 97 Planstellen nicht akzeptabel: Die Angst, in der Szene nicht mehr für voll genommen zu werden, sitzt tief.

Weil Not erfinderisch macht, entwickelte das Orchester mit dem Vorsitzenden seines Freundeskreises, einem Unternehmensberater, die Idee des "Kostencenters". Grundgedanke ist die Aufteilung des ROC-Etats in festgelegte Einzelbudgets: Dann könnte das RSB seinen potenzeillen Sponsoren endlich garantieren, dass ihre Spenden dort ankommen, wo sie hin sollen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit - nur eben nicht in der ROC: Dort praktiziert man die Philosophie flottierender Haushaltstitel. Eingehende Gelder werden erst einmal in den Gesamttopf einkassiert. Dass die Orchester da nur gebremsten Eifer bei der Suche nach Drittmitteln an den Tag legen, wundert nicht.

Strukturreform? Big-Band-Auflösung!

Währenddessen kocht und brodelt es weiter im ROC-Topf. Der Entscheidungsdruck im Kessel hat längst die kritische Marke überschritten. Doch anstatt die Strukturen der Musik-Holding endlich ihren eigenen Finanzvorgaben anzupassen, eiern die Gesellschafter weiter planlos um den heißen Brei herum. Jüngst haben sie das schwächste Mitglied herausgefischt: Die Rias-Big-Band wird in diesem Jahr aufgelöst. Das verschafft ihnen fürs erste Luft, "entlastet" den Etat um ein paar Planstellen. Doch das Grundproblem bleibt: Entweder, die übrigen Ensembles werden so lange ausgetrocknet, bis sie schließlich alle vier verpuffen oder die Gesellschafter ermannen sich, klare Schnitte zu machen und die nachfolgenden Reaktionen der Interessenvertreter auszuhalten. Die Suppe, die sie sich eingebrockt haben, können nur sie selber auslöffeln.

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