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Thom Yorke von Radiohead beim Lollapalooza-Festival

© AFP/dpa/Sophia Kembowski

Radiohead bei Lollapalooza in Berlin: Distanz als Waffe

Die letzte große Rockband dieser Welt: Radioheads toller Auftritt beim Berliner Lollapalooza-Festival.

Wer ein bisschen älter und seit langem schon Radiohead-Fan ist, dürfte sich an diesem herrlichen Spätsommerabend auf dem Lollapalooza-Festival gut daran erinnern, dass die britische Band schon einmal an einem 11. 9. in Berlin gespielt hat. 2001, am Tag der Anschläge auf das World Trade Center, in der Wuhlheide. Ein gespenstischer und auch verregneter Abend war das, weil Radiohead das Konzert nicht ausfallen lassen konnten, aber genauso wenig daran vorbeikamen, die Ereignisse zu kommunizieren, von der Bemerkung, dass es zu diesem Tag absolut nichts zu sagen gäbe bis hin zu den Absturzstellen der Flugzeuge, die sie aufzählten, um danach „Paranoid Android“ zu spielen.

Fünfzehn Jahre später ist die Welt kein bisschen besser geworden, gehört der Terror gar zur Tagesordnung, und doch ist die Stimmung natürlich um vieles besser im Treptower Park, als Radiohead beginnen auf der Hauptbühne zu spielen. Zuerst dröhnt ein durchaus gespenstisches Hubschrauber-Geknatter aus den Boxen, seltsamerweise schiebt sich gerade genauso einer über den Mond und fliegt Richtung Westen.

Dann betreten Thom Yorke und seine fünfköpfige und unter anderem aus zwei Schlagzeugern bestehende Band die Bühne, um mit dem schönen, von hüpfenden Streichern begleiteten Eröffnungsstück ihres jüngsten Albums „A Moon Shaped Pool“ ihr einziges Deutschland-Konzert in diesem Jahr zu eröffnen, mit „Burn The Witch“. Es folgen vier weitere Stücke von dem Album, genau in derselben Reihenfolge. Doch man hat den Eindruck, dass sie alle kürzer sind, weniger schlingernd, auf den Punkt gebracht, wunderschön, dazu Visuals, die an eine Filmspur erinnern und das Geschehen auf der Bühne in bis zu acht Teile zerlegen.

Mit „2 + 2 = 5“ von ihrem 2003er-Album „Hail To The Thief“ und den von Yorke geschmachtwimmerten Zeilen „Are you such a dreamer/To put the world to rights?“ unterbricht die Band ihre Gegenwartsperformance, steigt ein in ihr Gesamtwerk und spielt schließlich ein wirklich großartiges, fulminantes Konzert, das vergessen lässt, dass dieses Berliner Lollapalooza-Festival mit seinem Line-Up zwar okay, aber halt nicht ganz so großartig war (Kings Of Leon, New Order als Headliner den Abend zuvor, nun denn).

Radiohead demonstrieren hier live auf der Bühne als gewissermaßen letzte große Rockband, wie man den Rock gut überlebt, mit Songs, in denen hier die Elektronik aufblitzt, die dort gar ein paar Jazzelemente enthalten, die komplex-ausgetüftelt sind und doch mitunter Hitpotential haben. So wie das umwerfende „Reckoner“, das live noch umwerfender ist als sowieso schon, wie das krass bassbohrende „Idioteque“ von dem „Kid-A“–Album.

Nach knapp anderthalb Stunden verlässt die Band erstmals die Bühne, nachdem Thom Yorke sich akzentfrei mit „Vielen Dank“ verabschiedet hat, kommt kurz darauf wieder, und es wird gefälliger. Man könnte sagen: wieder indierockiger, akustikgitarrenlastiger.

Sie spielen sogar „Creep“, ihren wohl allergrößten Hit, was sie, wie eingefleischte Fans wissen, nur tun, wenn sie sich wirklich wohl fühlen. Was ich wiederum nicht so nötig finde, aber was soll's. Im Ohr bleiben trotzdem mehr tolle Zeilen wie die aus „Present Tense“, das vom neuen Album stammt und ebenfalls von Radiohead im Zugabenblock performt wird: „Distance is like a weapon of self-defence against the present tense“. Distanz ist eine Waffe der Selbstverteidigung gegen die Gegenwart. So ist das, im Jahr 2016.

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