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Hier wird noch ordentlich in die Tasten gehackt. Der Mauerparkpoet Dan Sigurd mit einem unschlagbaren Angebot.

© Robert Klages

Raus aus der Bubble: Die Online-Zeitschrift „zæsur. poesiekritik“ will Lust auf Lyrik machen

Die in Berlin mit Mitteln aus dem Hauptstadtkulturfonds neu gegründete Zeitschrift will einem breiten Publikum anspruchsvolle Lyrik vermitteln – auch in Gesprächen und Podcasts.

Von Maximilian Mengeringhaus

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Vierhundert Jahre ist es her, seit der schlesische Barockdichter Martin Opitz antrat, die heimische Verskunst auf Höhe der europäischen Vorbilder zu hieven. Heute wird sein „Buch von der Deutschen Poeterey“ nur noch auszugsweise in germanistischen Seminaren gelesen.

Wer allerdings hineinblättert in das schmale Kompendium, wird verblüfft feststellen, wie aktuell sich die einleitende Standortbestimmung liest. So im dritten Kapitel, das dem Bedeutungsverlust der Poesie entgegensetzt: „Es wird kein buch / keine hochzeit / kein begräbnüß ohn uns gemacht; und gleichsam als niemand köndte alleine sterben / gehen vnsere gedichte zuegleich mit jhnen vnter.“

Womit Opitz einen Punkt hat, schließlich kommen die prägendsten Anlässe unserer Leben – ob nun im Standesamt oder auf dem Friedhof – selten ohne bedeutungsschwere Verse aus. Während der Konsumalltag vom Glückskeks über den Kalenderspruch bis zum Werbejingle mit poetischen Schwundstufen erdrückend ausstaffiert ist.

Neugierde auf Unbekanntes

Die zeitgenössische Lyrik hingegen führt ein Schattendasein, ganz gleich, wem der Georg-Büchner-Preis verliehen wird. Zu kompliziert und unverständlich geht es für viele Geschmäcker hier zu, wobei die allermeisten Lektüreerfahrungen sicher noch aus den leblosen Stilmittelanalysen der Schulzeit herrühren. Die Berührungsängste könnten größer kaum sein zwischen der dichtenden Zunft und ihrem Publikum.

Was fehlt, sind Vermittlungsinstanzen, die für die Feinheiten von Gedichten sensibilisieren, vor allem aber die Neugierde auf Unbekanntes anfachen. Wie aber stellt man das in Sparzwangzeiten an, in denen der ohnehin begrenzte Raum, den die Lyrik im Feuilleton zugestanden bekommt, durch Streichungen ganzer Formate immer weiter verknappt wird?

Eine Instanz fehlte

Eine Nische für Interessierte bot über Jahre das rege Treiben auf der Webpräsenz „Fixpoetry“, bis die Betreiberin Ende 2020 erschöpft die Segel strich. Nicht mal mehr mit Kleinstbeträgen ließen sich die Essays und Rezensionen entlohnen. Die bestürzte Anteilnahme war rege, dennoch irritiert im Rückblick, dass auf Großkongressen wie dem Frankfurter „Fokus Lyrik“ einige Dichter noch mindestens 500 Euro Gage pro Auftritt verlangten, während es für Besprechungen ihrer Werke maximal ein Zehntel und oftmals bloß das Buch zu holen gab. 

Widerstandslos hinnehmen wollten das Fehlen eines Treffpunkts wie „Fixpoetry“ einige Umtriebige jedenfalls nicht: „Um die Leerstelle eines Publikations- und Diskursortes für Lyrikkritik zu füllen, haben sich mehrere Vertreterïnnen der deutschsprachigen Literatur-, Lyrik- und Kritikszene aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengefunden und 2022 den Verein Poesiekritik international e.V. in Berlin ins Leben gerufen.“

Dieser Verein unter der Leitung der Autoren Asmus Trautsch, Timo Brandt, Slata Roschal, Josef Kirchner und Şafak Sarıçiçek hat sich mit der Onlinezeitschrift „zæsur. poesiekritik“ nun eine eigenständige Plattform geschaffen. Deren Anspruch lautet „Gegenwartslyrik durch vielfältige Formen der Kritik in unterschiedlichen Schreibstilen, Formaten und Medien (von Kurzkritiken über längere Essays, Zeitschriften-, Veranstaltungs- und Debattenkritik sowie Gesprächen bis zu Podcasts) zu vermitteln.“

Workshops an Schulen

Raus aus der Bubble ist das Motto, und zumindest die Ankündigung mehrerer Workshops an Berliner Schulen, die „ermutigen wollen, eigenständig, kritisch und dabei auch lustvoll über Poesie zu sprechen – nicht sie ‚nur‘ zu interpretieren“, lässt hoffen, dass es den Betreibern aufrichtig um eine Öffentlichkeit über die Kreise der üblichen Aficionados und Akademiker hinausgeht.

Bislang finden sich auf www.zaesur-poesiekritik.de vor allem schriftfixierte Beiträge zu einzelnen Gedichtbänden sowie vereinzelt vertiefende Analysen. Diese werden redaktionell sorgfältig betreut und dank der Förderung des Hauptstadtkulturfonds für das laufende Jahr auch fair entlohnt (für das kommende liegt die vage Finanzierungszuversicht auf einem „Mix aus Spenden, kommerziellen Einnahmen und Fördergeldern“). Doch zunächst soll das mediale Formatportfolio und schließlich auch die Diskussion über den Tellerrand des hiesigen Sprachraums erweitert werden.

Eine Veranstaltung im „Haus für Poesie“ will im März Spezifika der Lyrikkritik herausarbeiten. Insofern ein Knackpunktthema, als fragwürdig ist, weshalb Lyrik zwangsläufig anders gelesen gehört als alle andere Literatur. Birgt der Verweis auf die Singularität der Form nicht die Bedrohung, die Lyrik erneut abzugrenzen, sie aller behaupteten Schnittmengen zu anderen Künsten wiederum zu isolieren? Betont das zwischen den Zeilen nicht auch der einschneidende Projektname „zæsur“? Und sind Poesie und Lyrik überhaupt dasselbe? Offene Fragen gibt es genug, durch die Initiative des Vereins endlich aber auch wieder einen Ort, an dem sich diese diskutieren lassen.

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