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Auf Mubi zu sehen: "Faya Dayi" aus Äthiopien: Realitätsflucht mit dem heiligen Kraut
Jessica Beshir erzählt in ihrem Trance-Film "Faya Dayi" vom Khat-Anbau, von den Menschen, die das Kraut unaufhörlich kauen, von Mythen und Religion.
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Die Lagerhalle, zuvor noch ein Ort geschäftigen Treibens, ist wie leergefegt. Auf dem Boden liegen die Reste eines Arbeitstags: Matten, Säcke, Strohhaufen, dazwischen, kaum sichtbar, reglose Gestalten. Ein Mitarbeiter betritt die Halle, um die grellen Deckenlichter auszuschalten, und die Männer versinken im Schwarz der Leinwand. Ob die harte Arbeit sie gelähmt hat oder die Menge der Blätter, die sie beim Binden, Sortieren, Wiegen und Verladen der Khat-Sträucher unaufhörlich kauen, lässt sich nicht sagen. Wahrscheinlich hat beides zusammengewirkt.
Alle Bewegungen in „Faya Dayi“ führen zum Kath. Das Gewächs, in der Sufi-Tradition ein Wegweiser in die Ewigkeit und früher hauptsächlich von religiösen Gruppen verwendet, hat als lukrativste Kulturfrucht Äthiopiens Anbauprodukte wie Kaffee längst verdrängt. Das lethargische Zupfen an den Zweigen, das ständige Kauen und die dicken Backentaschen, in denen die Blätter zu tennisballgroßen Klumpen gesammelt werden, gehören heute zu den Bildern des Alltags.
Im Film sind die Blätter des Khat-Strauches das Gravitationszentrum, das von einer Vielzahl an Figuren, Stimmen und Geschichten umkreist wird. Aber sie sind auch der Stoff, von dem die in der Harari-Region im Osten Äthiopiens angesiedelte Erzählung selber berauscht ist.
Regisseurin Jessica Beshir, Tochter eines Äthiopiers und einer Mexikanerin, ist in Harar aufgewachsen, als Jugendliche floh sie vor der politischen Gewalt nach Mexiko. Heute lebt sie in New York. In ihrem Debütfilm vermischt sie anthropologische Studien mit Mythenerzählungen und dem Trancefilm. Religiöse Gesänge, Legenden und persönliche Erfahrungen verweben sich zu einem schwer fassbaren Textkörper – eingesprochen von verschiedenen Stimmen –, der sich in den prächtigen Schwarz-Weiß-Bildern verflüchtigt.
Erzählt wird unter anderem die in der Region verbreitete Legende von Azuekherlaini, der von Gott beauftragt wurde, das Maoul Hayat, das Wasser des ewigen Lebens, zu finden. Andere sind in der dokumentarischen Gegenwart verortet.
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„Jeder kaut, um zu entkommen. Ihr Körper ist noch da, aber ihre Seele ist weg“, sagt der 14-jährige Mohammed, der als Laufbursche in Harar arbeitet und die apathisch auf ihren Matten liegenden Männer mit ihrem täglichen Büschel versorgt. Der regelmäßige Khat-Konsum seines Vaters macht das Zusammenleben mit ihm nur schwer erträglich, die Mutter hat die Familie früh verlassen. Wie so viele junge Männer in Äthiopien träumt auch Mohammed davon, seine Heimat über das Meer zu verlassen. Die Älteren raten ihm ab und preisen die Fruchtbarkeit des Landes in hohen Tönen. Er würde doch nur als Fischfutter enden.
Jessica Beshir schafft hypnotische Bildwelten
Ein schon etwas älterer Junge, dem der Aufbruch nach Europa gelang, ist nach dem Tod des Vaters wieder zurückgekehrt, um an der Seite der Mutter zu sein. Über die Flucht weiß er zu berichten, dass die Erinnerungen das schwerste Gepäck sind. Etwas vernebelt gerät die Geschichte von Fatima, die sich nach ihrem Geliebten sehnt, mit dem sie nicht zusammen sein kann. Oft driftet der Blick an die Peripherien des Geschehens: das Schattenspiel eines Vorhangs, der sich im Wind bewegt, die Konturen eines Körpers unter einem gewebten Stoff. Etwas aufdringlich wirkt der Einsatz von Zeitlupen und ätherischen Klängen.
„Faya Dayi“ steht " auch beispielhaft für einen veränderten Begriff des Dokumentarischen, der sich von herkömmlichen Realitätskonzepten entfernt hat. In Beshirs hypnotischen Bildwelten lässt sich kein fester Boden gewinnen. Auch wenn das Khat vom Anbau und der Ernte bis hin zum Verkauf begleitet wird, ist „Faya Dayi“ kein Film über Arbeit und ökonomische Kreisläufe.
Was der ausgetrocknete Lake Harayama und die Unterdrückung der Oromo-Ethnie im multinationalen Äthiopien mit dem Khat-Anbau zu tun hat, kann allenfalls erahnt werden. Dringt man aber erst durch die wattigen Schichten des Dämmerzustands, zeigt sich die Wirklichkeit erstaunlich klar. (auf der Streamingplattform Mubi)
Esther Buss
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