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Eine Scheibe oder ein Loch? Im März fiel ein Museumsbesucher im portugiesischen Porto in Anish Kapoors Installation "Descent Into Limbo".,

© imago/ZUMA Press

Rechtsstreit um Mannheimer Installation: Ist das Kunst oder kann ich weg?

Das Immaterielle hat seine Tücken, auch die Installation am Bau: vom Umgang mit Löchern, Licht, Lebendskulpturen - aus Anlass des Rechtsstreits um das "Mannheimer Loch".

Das Loch ist weg, darum dreht sich der Streit. Aber kann ein Loch überhaupt weg sein, ein Nichts verschwinden? Die Sache ist ernst. Es geht um die volatile Gegenwartskunst, um die Frage der nachhaltigen Wertschätzung von Werken, die sich anders als Gemälde oder Skulpturen nicht so einfach handhaben lassen. Um Konzeptkunst, Performance, Installation, Immersion, Kunst am Bau.

Die Künstlerin Nathalie Braun Barends hat geklagt, wegen des „Mannheimer Lochs“. Am Donnerstag wurde ihre Sache im Saal H 123 vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe verhandelt, das Urteil fällt in einigen Wochen. Ihre multidimensionale Arbeit „Hhole“ wurde 2007 in der Kunsthalle Mannheim installiert, gemeinsam mit ihrem Lichtkunstwerk „PHaradise“. Das Loch erstreckte sich über sieben Ebenen, mit runden, verglasten Öffnungen in den Decken. Ein weiteres Loch im Dach gab den Weg frei für einen Lichtstrahl, der bis hoch hinauf in den Himmel reichte.

Inzwischen hat sich das Museum gewaltig verändert. Im Juni wurde ein neuer Erweiterungsbau eröffnet, das Jugendstilgebäude von Hermann Billing wurde saniert. Decken raus, anderes Dach rein, eine Brücke verbindet die beiden Häuser – da passte die Installation nicht mehr hin. Braun Barends fordert Schadensersatz, mindestens 220 000 Euro für „HHole“, mindestens 90 000 Euro für „PHaradise“; sie verlor vor dem Oberlandesgericht. Dem Eigentümer eines Kunstwerks sei keine ewige „bauliche Veränderungssperre“ zuzumuten. Jetzt geht es in die letzte Instanz.

Ist das Kunst oder muss ich weg? Man denkt schnell an die berühmte Fettecke von Joseph Beuys in der Düsseldorfer Kunstakademie, die ein Hausmeister 1986 gutgläubig beim Putzen entsorgte. Oder an Martin Kippenbergers Gummiwannen-Werk „Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen“ im Dortmunder Ostwall-Museum, dessen Kalkschicht am Wannengrund 2011 von einer tüchtigen Putzfrau weggeschrubbt wurde – das Werk war irreparabel zerstört.

Nicht mehr da: Die Installation "Hhole" von Nathalie Brau Barends in der Kunsthalle Mannheim. Die Künstlerin fordert bis zu 220.000 Euro Schadensersatz.
Nicht mehr da: Die Installation "Hhole" von Nathalie Brau Barends in der Kunsthalle Mannheim. Die Künstlerin fordert bis zu 220.000 Euro Schadensersatz.

© picture alliance / dpa/Ronald Wittek

Aber der Mannheimer Fall liegt anders. Hier wurde nicht aus VerHier wurde nicht aus Versehen oder Ignoranz ein Kunstwerk beseitigt,sehen oder Ignoranz ein Kunstwerk beseitigt, sondern weil die Umgebung, die Architektur sich verändert hat. Hat die Künstlerin ein Recht darauf, dass ihre situative Arbeit am neuen Ort wieder errichtet wird – egal für wie grandios oder läppisch man „Hhole“ hält? Ist es dann noch das Original oder eine neue Arbeit?

Allgemeiner gefragt: Wie lässt sich Kunst besitzen, bewahren, verkaufen, die an Orte gebunden ist? Oder die komplett immateriell ist, die aus der Abwesenheit von etwas besteht, entferntem Material? Die das Verschwinden ästhetisiert? Und welche Rechte kann der Schöpfer, die Schöpferin für sich in Anspruch nehmen?

Kleines aktuelles Beispiel aus Berlin: Das Film- und Fernsehmuseum am Potsdamer Platz richtet gerade seinen Fernsehbereich neu ein, vom „Zeittunnel“ bis zum Spiegelsaal. Nach zwölf Jahren ist die bisherige Präsentation nicht mehr zeitgemäß, auch der Eingangsbereich ändert sich, im Januar wird die neue Ausstellung eröffnet. Dem fällt die „Blaue Wand“ zum Opfer, jene strahlende Fotomosaik- Leuchtinstallation der Fotografin und Künstlerin Regina Schmeken, die den Museumsbesucher bisher begrüßte.

Neue Ausstellung: Im Berliner Filmmuseum verschwindet die "Blaue Wand"

Die Auftragsarbeit gehört der Stiftung Deutsche Kinemathek, die „Blaue Wand“ wird eingelagert. Sie bleibt erhalten, aber sie verschwindet aus dem öffentlichen Raum. Für die Künstlerin ist das schmerzlich, für die Museumsleute ein notwendiger, eigentlich selbstverständlicher Vorgang. Keine Veränderungssperre: Museen müssen sich wandeln, um ihren Kulturauftrag erfüllen zu können.

Ein anderes Beispiel: die Arbeiten des Künstlers Tino Sehgal. Er nennt sie nicht Performances, sondern „konstruierte Situationen“, sie finden in Museumsräumen oder unter freiem Himmel statt. Theatrale Situationen, Lebendskulpturen, der Zuschauer wird oft angesprochen und involviert. Es existieren weder ein Script noch Choreografien oder fixierte Anweisungen. Trotzdem sind Sehgals Arbeiten käuflich. Zwar kann man sein Werk nicht nach Hause tragen, es gibt auch keinen schriftlichen Vertrag. Aber mündlich müssen die Käufer die Vereinbarung auswendig lernen, in Anwesenheit des Künstlers – und dürfen die „Situation“ dann aufführen.

Mal grundsätzlich: Existiert flüchtige Kunst nur, wenn einer sie ansieht?

Ein Werk, das sich jeglichem Zugriff entzieht, das folglich auch nicht zerstört werden kann? Verhält es sich damit ähnlich wie mit den Voids, den physischen Leerstellen in der Architektur von Daniel Libeskind oder wie mit John Cages Komposition „4’33“, in der kein Ton erklingt? Und wie versichert man immaterielle Kunst, wenn schon der immaterielle Schaden bei der Beschädigung materieller Werke kaum zu beziffern ist?

Umgekehrt wird Philosophie draus. Was sind Kunst und Literatur, erst recht die flüchtigen Medien Musik und Film ohne das Publikum? Wenn keiner sie anschaut, ihnen zuhört? Existiert der wahre ästhetische Wert am Ende „nur“ im Auge der Betrachterin? Was zählt, die Vision oder ihre Manifestation? Ist eingelagerte Kunst weniger wert als die ausgestellte? Der Kunstmarkt sagt Ja. In der Regel erhöht sich der Geldwert eines Werks, wenn es im Museum präsentiert wird.

In Balzacs Novelle wird das Meisterwerk eingemauert

In Honoré de Balzacs Novelle „Das unbekannte Meisterwerk“ mauert ein Maler sein Bild ein, ein Frauenporträt, nachdem die ersten Betrachter darin nichts anderes sehen können als Farben „in wirrem Durcheinander“ und eine Fülle „bizarrer Linien“. Jacques Rivette wandelt die Geschichte in seiner Kinoadaption „Die schöne Querulantin“ mit Michel Piccoli und Emmanuelle Béart von 1992 etwas ab. Gegenüber seinem Kunsthändler und seinem Schüler gibt der Maler ein falsches Bild als das Meisterwerk aus, das richtige mauert er im Atelier ein. So oder so: Das vollendete Werk existiert nur als verschwundenes. Die vollkommene Schönheit kann keiner sehen.

„Descent Into Limbo“, Abstieg in die Unterwelt heißt eine Arbeit des britischen Bildhauers Anish Kapoor, die dieses Jahr in Porto zu sehen war. Ein Loch im Boden. Es kann gefährlich sein, das Loch für Kunst zu halten. Ein Museumsbesucher wähnte sich jedenfalls vor einer schwarzen Scheibe und fiel hinein. Er kam leicht verletzt ins Krankenhaus.

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