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Alexey Nawalny hat mit seiner Verhaftung nach der Ankunft in Moskau spekuliert.

© Mstyslav Chernov/dpa

Regimekritik an Russland: Nawalnys freiwillige Rückkehr ist ein unnötiges Opfer

Alexej Nawalnys Heimkehr nach Russland erscheint politisch unklug. Im Exil könnte er der Sache unter Umständen besser dienen. Ein Kommentar.

Von Caroline Fetscher

Alexej Nawalnys freiwillige Rückkehr in das Land, in dem er um ein Haar einem Attentat erlegen wäre, wirkt auf den ersten Blick heroisch, couragiert, konsequent. Indem der Oppositionelle zurückkehrt in die Höhle des Löwen, will er beweisen, dass er dessen Zähne nicht fürchtet. Sie waren freilich schon gebleckt, als er an Bord der Boeing 747 ging, die ihn nach Moskau brachte. Antiterrorpolizei war am Flughafen mit vergitterten Gefangenentransportern aufgezogen, der Löwe machte das Maul auf.

Nach seiner Verurteilung am Montag zu dreißig Tagen Haft stellt sich umso mehr die Frage, wie klug, wie politisch richtig Nawalnys Schritt ist. Der eben erst von einem Giftanschlag Genesene hofft auf die internationale Öffentlichkeit als Schutzmantel. Alle Welt, zuvörderst „der Westen“, wird sich die kommenden Wochen und Monate fragen müssen, was mit Nawalny passiert, was ihm in Russland „zustößt".

Kann er offen sprechen? Wird er erpresst, misshandelt? Erhält er eine angemessene Behandlung? Gelangen Nachrichten von ihm, wenn überhaupt, wahrheitsgemäß nach außen, ob aus der Haft, aus dem Hausarrest oder vermeintlicher Freiheit?

Die Flucht als große Ego-Aufführung

Nüchtern betrachtet ließe sich Nawalnys Flucht vor der Flucht auch als eine große Ego-Aufführung sehen, die einen Anteil dessen enthält, was Psychologen Grandiosität nennen, als Hinweis auf ein Größen-Selbst – worin er freilich vom Kremlherrscher Vladimir Putin allemal übertroffen wird. Doch der ist nicht offensiv suizidal, sondern schreckt, nach allem was bekannt ist, vermutlich auch vor Auftragsmorden nicht zurück.

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Davon abgesehen, dass Nawalnys Person die politische Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird wie ein Magnet, könnte die Frage lauten, ob sein Handeln der politischen Sache, dem Einsatz für mehr Demokratie und Transparenz im postsowjetischen Russland, tatsächlich mehr dienen kann, als es im Exil der Fall wäre. In einer Demokratie genießt Putins Widersacher ungehinderte freie Rede. Er kann sich frei bewegen, sich vom physischen und psychischen Stress erholen, den der Anschlag auf sein Leben bedeutet hat. Er kann Verbündete treffen, reisen, schreiben, Reden halten. Er könnte weiterhin großen Einfluss haben, in Ost wie West.

Ob er zu all dem in Moskau Gelegenheit haben wird, ist ungewiss. Nawalny lässt sich, so wirkt das Geschehen, freiwillig kaltstellen, um aufzuheizen. Er opfert sich, oder beweist doch immerhin die Bereitschaft zum Selbstopfer, um bei Anderen deren Grad der Empörung zu steigern. Den stummen, grimmig zufriedenen Ruf des Regimes ahnte man als Vorausecho, in dem Moment, als der Anwalt ankündigte, dass er sich auf das Territorium der Rechtswillkür begab: „Sie haben es so gewollt.“ Wahrscheinlich hätten manche seiner Freunde und Unterstützer das Flugzeug noch auf der Rollbahn anhalten wollen, um den Mann vor seinem Entschluss in Sicherheit zu bringen. Nein, zu halten.

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