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Da capo. In einer Festung aus dem 15. Jahrhundert fand das erste Konzert auf italienischem Boden seit dem Lockdown statt.

© Ravenna Festival

Riccardo Muti beim Ravenna Festival: So erlebte Italien sein erstes Konzert seit dem Lockdown

Livemusik trotz Mindestabstand: Die Corona-Restriktionen machen den Auftritt für das 62-köpfige Orchester schwer. Doch am Ende lohnt es sich.

Locker war die Atmosphäre nicht gerade. Aber wie auch? Sämtliche Musikerinnen und Musiker, ausgenommen die Bläser, saßen zu Beginn mit Mundschutz auf der Bühne. Das wirkte schon ein bisschen gespenstisch. Werden sie so auch spielen, fragte man sich, in einem Konzert unter freiem Himmel?

Da besonders in Italien viele Menschen starben, sitzt das Corona-Trauma bei den Einheimischen tief. Viele tragen nicht nur in Geschäften eine Maske, sondern trotz hoher sommerlicher Temperaturen auch freiwillig auf öffentlichen Straßen und Plätzen.

Aber als der Dirigent Riccardo Muti erscheint, um das 31. Ravenna Festival mit der Nationalhymne zu eröffnen, das erste Konzert seit dem Lockdown am 9. März in Italien überhaupt, verschwinden die Masken von den Gesichtern.

Der 78-jährige Maestro selber hatte übrigens bereits eine Woche zuvor bei einem Konzert der Wiener Philharmoniker im Musikverein das Publikum ausdrücklich ermutigt, den Mundnasenschutz nicht länger zu tragen als unbedingt notwendig.

Wenn einer wie Muti das sagt, hat es Gewicht. Der Mann ist eine Instanz, setzt stets seinen Kopf durch. Im Augenblick sorgt er sich vor allem um die jungen Künstler, deren Existenz durch die Pandemie wirtschaftlich besonders stark gefährdet ist. Deshalb nahm er die Herausforderung an, zusammen mit seiner Ehefrau und Festivalleiterin Cristina Mazzavillani Muti einen Abend mit seinem 2004 gegründeten Luigi Cherubini Jugendorchester auf die Beine zu stellen, der den restriktiven Corona-Auflagen entspricht.

Strahlend schön und schwerelos

Die an Kunstschätzen reiche oberitalienische Stadt, in der Muti mit seiner Familie seit vielen Jahren lebt, erweist sich als ideal, um die Kultur in Italien wieder anzukurbeln. Mit der Rocca Brancaleone, einer venezianischen Trutzburg aus dem 15. Jahrhundert, in der er bereits 1990 das allererste Ravenna Festival eröffnete, verfügt er zudem über ein Ort von Symbolkraft. Dafür nehmen es die 300 zugelassenen Zuschauern in Kauf, bis zum Erreichen des Sitzplatzes eine chirurgische Maske zu tragen und am Eingang die Körpertemperatur überprüfen zu lassen.

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Das 62-köpfige Orchester spielt vor allem Musik von Mozart. Rosa Feola ist die Solistin in der Motette „Exsultate jubilate“ und im „Et incarnatus est“ aus der c-Moll-Messe. Strahlend, schön und schwerelos bis in die höchsten Register führt sie ihren warm timbrierten Sopran durch die koloraturreichen Stücke, sodass sich der Bezug zu dem Satz aus der „Göttlichen Komödie“ des 1321 in Ravenna verstorbenen Dichters Dante Alighieri förmlich aufdrängt: „Wir tauchten auf, um noch einmal die Sterne zu sehen.“

Seinen Anteil daran hat auch das feinsinnig musizierende Orchester. Insbesondere im intimen Duett mit dem Sopran lassen die Bläsersolisten den denkbar zärtlichsten Klang vernehmen.

Die Anforderungen stellen höchste Ansprüche

Die Finessen der Interpretation offenbarten sich in der finalen Jupiter-Sinfonie – wie so oft bei Riccardo Muti – in den Details, im empfindsamen Musizieren lyrischer Motive, in fein ziselierten Übergängen, im sensiblen Dynamisieren, in der Kompaktheit der Forte-Klänge und einer von Elastizität geprägten Spielkultur.

All das erzielt der Dirigent mit sparsamen, unaufwendigen Zeichen, nur im ersten Satz hält er die tiefen Streicher mit energischen Bewegungen seines rechten Ellenbogens zu breiteren, kraftvollen Bogenstrichen an.

Die geforderten vergrößerten Abstände auf dem Podium, auf die Riccardo Muti im Anschluss an das Konzert in einem kurzen Backstage-Pressegespräch zu sprechen kommt, stellen an seine Mitstreiter höchste Ansprüche.

Die üblichen Pultnachbarschaften von zwei Mitgliedern müssen schließlich aufgehoben werden, sodass jeder einzeln für sich allein sitzt. Was die Kommunikation erschwert und die klangliche Homogenität innerhalb der Instrumentengruppen.

39 weitere Konzerte stehen an

Der Höreindruck aber bleibt davon unberührt, vielmehr tönt auch Alexander Skrjabins sechsminütige zarte „Rêverie“ so feinsinnig, dass man dem Orchester international ebenso viel Aufmerksamkeit wünscht wie Daniel Barenboims West Eastern Divan Orchestra.

Noch weitere 39 Konzerte stehen in Ravenna bis zum 30. Juli auf dem Programm. Am 3. Juli wird der Maestro selber wieder ans Pult treten, zu einem Sonderkonzert seiner Reihe „Roads of friendship“, 1997 initiiert als ein Zeichen für Frieden, Liebe und Freundschaft an krisengebeutelten Orten.

Bei der Gelegenheit wird das Syrian Expat Philharmonic, das sich aus Exilanten zusammensetzt, Seite an Seite mit dem Luigi Cherubini Jugendorchester Beethovens „Eroica“ aufführen.

Kirsten Liese

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