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Welterbe: Ritter, Retter, Räuber
Was deutsche Archäologen in der chinesischen Taklamakan-Wüste verloren haben und wie Goethe in den Senegal kam. Die Zeitschriftenkolumne.
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Im Nachhinein ist es leicht, von Raubkunst zu sprechen. Keine Frage: Da, wo die buddhistische „Höhle der ringtragenden Tauben“ nun einzieht, in die mit einem christlichen Kreuz bewehrten Kuppel des Humboldt Forums, ist alles andere als ihre natürliche Umgebung. Sie gehört in die Kizil-Grotten am Rande der chinesischen Taklamakan-Wüste im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang. An ihren Wänden, auf der alten Seidenstraße, prangten ihre um das sechste Jahrhundert entstandenen Malereien mit denen aus über 200 weiteren Höhlen, bevor Albert Grünwedel, Theodor Bartus und Albert von le Coq sie abschlugen und von ihrer ersten Turfan-Expedition 1902/03 nach Berlin mitbrachten.
Im Nachhinein wird es aber auch erst richtig kompliziert. Denn die deutschen Forscher agierten seinerzeit keineswegs als Plünderer, sondern im Einvernehmen mit den han-chinesischen Eliten. Weder sie noch die Muslime der in der Region ansässigen Turkvölker hatten einen Sinn für die verfallenden Schätze. Erst mit dem Ende des Kaiserreichs 1912 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs gerieten die Europäer in Misskredit.
Was auf insgesamt vier Expeditionen an die Spree gelangte, wurde zum Teil im Bombenregen des Zweiten Weltkriegs vernichtet. Das Wort von der Rettung bedrohter Kunstschätze ist also mit ebenso viel Vorsicht zu genießen wie das des Raubs. Oder soll man sich damit trösten, dass das heutige Unesco-Weltkulturerbe während der Kulturrevolution womöglich noch mehr geschleift worden wäre?
Von der Kooperation zur Konfrontation
Die Geschichte ist bisher nicht im Zusammenhang erzählt worden. Mit Albert von le Coqs Briefen an seinen Freund, den Orientalisten Willi Bang-Kaup, liegen mittlerweile (De Gruyter 2014) wichtige Materialien aus den Jahren 1909 bis 1914 vor. Hintergründe in einem britischen Vergleichsfall liefert nun der amerikanische Historiker Justin M. Jacobs. In „The Compensations of Plunder: How China Lost its Treasures“ (Chicago University Press) widmet er sich den parallel unternommenen zentralasiatischen Expeditionen des Indologen Aurel Stein, dessen Ausbeute zwischen London und Neu-Delhi heute die besten Museen schmückt.
Jacobs zeichnet – auch in mehreren auf YouTube dokumentierten Vorträgen – das höchst differenzierte Bild einer Kooperation, die erst heute, nicht zuletzt von den Chinesen, in Frage gestellt wird. Es ist also kein Zufall, dass Lilla Russell-Smith, Kuratorin für Zentralasiatische Kunst im Museum für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen, in Jacobs einen Verbündeten sieht.
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Im aktuellen, unterschiedlichsten „Kolonialwaren“ gewidmeten Heft der „Zeitschrift für Ideengeschichte“ (Frühjahr 2021, 16 €) rekapituliert sie Jacobs’ Xinjiang-Kapitel und berichtet, wie die europäischen Forscher den Einheimischen überhaupt erst die Augen für ihr Erbe öffneten. Ein Beleg dafür ist Aurel Steins Tagebuch, das der kaiserliche Gouverneur der Provinz als Musterbeispiel westlicher Wissenschaft ins Chinesische übersetzen ließ. Jacobs wie Russell-Smith geht es nicht um Reinwaschung, doch um eine moralische Perspektivenerweiterung: Wer allein nach heutigen Maßstäben urteilt, verfehlt den Gegenstand.
In einem weiteren Beitrag widmet sich Urs Büttner unter dem Titel „Re-Import Goethe“ einem postkolonialen Kniefall, lange bevor derlei öffentlich eingeklagt wurde. Der Düsseldorfer Globalhistoriker beschreibt die Friedenspreisverleihung des Deutschen Buchhandels an den in jüngeren Jahren als Dichter aktiven senegalesischen Präsidenten Léopold Sédar Senghor im Jahr 1968 als kuriose Selbstversöhnungsmaßnahme einer läuterungswilligen Nation.
Goethelektüre als Kriegsgefangener
In dem schwarzafrikanischen Dekolonisationsvordenker, der in deutscher Kriegsgefangenschaft Goethe lieben gelernt hatte, schien man einen idealen Kandidaten gefunden zu haben – auch wenn kaum einer im Stiftungsrat zuvor von ihm gehört hatte und die linken Studenten auf der Straße Sturm liefen: Sie hatten beschlossen, gegen gleich welchen Preisträger zu demonstrieren.
Büttner zeigt, wie Goethe in Senghors Lektüre mit einigen Verrenkungen zum Stichwortgeber der Négritude werden konnte, und er beschließt seine Erzählung mit der peinlichsten Szene der gesamten Reise. Zum Ende seines Aufenthalts in Deutschland folgte Senghor einer Einladung von Bundeskanzler Kiesinger nach Bonn. Der konnte sich bei seinen Honneurs das Geständnis, einst selbst Gedichte geschrieben zu haben, nicht verkneifen.
Der Preisträger reagierte souverän und erklärte, Politik sei eben die Fortführung der Dichtung mit anderen Mitteln. Die beste Pointe dieser deutsch-senegalesischen Annäherung liegt allerdings schon jenseits von Urs Büttners Stück aus dem Archiv. Zehn Jahre später lud Senghor den deutschen Bildhauer Arno Breker, einen von Hitlers „Gottbegnadeten“ in den Senegal ein und ließ sich von ihm porträtieren. Das konnte offenbar auch Goethe nicht verhindern.
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