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Scott, der Antiheld des Romans, ist der Überzeugung, er sei der beste betrunkene Autofahrer der Welt.

© imago images/Mint Images

Roman von Scott McClanahan: Konsum macht traurig

Eine unglückliche Liebesgeschichte mit teuflisch heiter hüpfendem Tonfall: Scott McClanahans rasanter Roman „Sarah“.

Der Icherzähler von Scott McClanahans bemerkenswertem Roman „Sarah“ heißt Scott McClanahan. Und nach allem, was man im Internet über den 1978 geborenen Autor erfährt, weist er große biografische Übereinstimmungen mit seiner Figur auf. Ein furioser Antiheld, ein trauriger Ritter des amerikanischen Alltags ist er so oder so.

Wir lernen Scott von Beginn an in all seinen Widersprüchen kennen: Er ist betrunken. Das ist er oft. Er setzt sich ans Steuer seines Autos, gibt Gas und ist dabei der Überzeugung, er sei der beste betrunkene Autofahrer der Welt, allein schon deshalb, weil er darin jahrelange Übung habe.

Plötzlich hört Scott in seinem Wagen ein Geräusch, blickt sich um und bemerkt, dass seine beiden Kinder Iris und Sam auf der Rückbank sitzen. 

Egomanisch bis an die Grenzen des Narzissmus

Die hatte Scott vergessen. Prompt gerät er kurz darauf in eine Polizeikontrolle, kann sich mithilfe von Mundwasser und seiner Wortgewandtheit herausmogeln und fährt lächelnd weiter. In diesem Augenblick überkommt ihn eine Mischung aus Triumphgefühl und Zerstörungslust.

„Sarah“ ist im Kern eine unglückliche Liebesgeschichte. Scott liebt Sarah. Sarah liebt Scott. Dass das allein nicht genügt, bekommen wir in einer Reihe von chronologisch nicht geordneten Episoden des Scheiterns vorgeführt. 

Das Zusammenleben ist mit einem Mann wie Scott schlicht unmöglich. Er ist infantil, egomanisch bis an die Grenzen des Narzissmus und jederzeit für eine Dummheit gut. „Sarah“ ist eine Berg- und-Tal-Fahrt, ein ständiger Wechsel von Hochgefühl und Desillusionierung.

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McClanahan spart nicht an Deftigkeiten; hinter der rasanten Komik einzelner Szenen aber lauert der Abgrund der Tristesse. Dass Sarah Scott eines Tages vor die Tür setzt und die Scheidung einreicht, erfahren wir bereits früh. 

Danach richtet er sich im Auto auf dem Parkplatz eines Supermarktes häuslich ein in der Hoffnung, das würde Sarah umstimmen. Wieder so ein Kinderglaube. Supermärkte und Shoppingmalls in der Kleinstadt in West Virginia, in der der Roman spielt, sind immer wieder zentrale Schauplätze, an denen sich Konsum und Tristesse verbinden.

Hinter McClanahans teuflisch heiter hüpfendem Tonfall, den der österreichische Schriftsteller Clemens J. Setz ins Deutsche herübergerettet hat, verbergen sich zutiefst einsame Menschen. Mit Scott müsste man Mitleid haben – wenn er nicht durch und durch toxisch wäre. Auch für sich selbst.
[Scott McClanahan: Sarah. Roman. Aus dem Englischen von Clemens J.Setz. Ars Vivendi, Cadolzburg 2020. 205 Seiten, 22 €.]

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