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Hat seinen Kracht gelesen und in Hildesheim studiert. Karl Wolfgang Flender, 29.

© Birte Filmer/Verlag

Romandebut von Karl Wolfgang Flender: Auf grüner Mission

In seinem Roman „Greenwash Inc.“ erzählt Karl Wolfgang Flender über die Nachhaltigkeitslügen der PR-Industrie. Die Hauptfigur: ein von Tranquilizern dauersedierter Burn-out-Kandidat.

Wie sich die Zeiten ändern: Früher haben die Werbefritzen, Serienjunkies wissen das, geraucht und gesoffen, dass einem schon vom Zuschauen schlecht wurde. Heute dagegen fährt der aufstrebende PR-Mitarbeiter mit seinem Rennrad zur Agentur, lädt seine Kollegen per Mail zur Gründung einer Laufgruppe ein (Teamname, zwinker, zwinker, „Greenwash Inc.“), und ach ja, Vegetarier ist er natürlich auch.

Schmutziges wird nicht nur sauber, sondern grün

So betrachtet, könnte dieser Thomas Hessel, der Ich-Erzähler in Karl Wolfgang Flenders Romandebüt „Greenwash Inc.“, glatt als Beispiel für den heute grassierenden Neo-Puritanismus durchgehen. Tatsächlich aber ist Hessels Vintage-Rad der Marke Gitane vor allem ein Statussymbol; sämtliche sportliche Aktivitäten, vom Squash mit dem Praktikanten bis zum mittels Push-up-App ausgetragenen Liegestützenduell mit dem Chef, sind nichts anderes als Rangkämpfe unter Rivalen. Und Vegetarier ist Hessel erst, seit die Agentur einem Fleischproduzenten geholfen hat, einen Lebensmittelskandal zu überstehen. Solche Fälle von „Krisenkommunikation“ sind das Spezialgebiet der PR-Agentur Mars & Jung: Schmutziges wird hier nicht einfach nur wieder sauber gewaschen, sondern grün. Etwa durch von der Agentur entwickelte Zertifikate oder Standards, die die Einhaltung von Arbeiterrechten oder Umweltschutzbestimmungen bestätigen. Vorübergehend aufgeschreckte Konsumenten lassen sich davon genauso gerne wieder einlullen wie von den „Hope-Stories“ der Agentur, herzzerreißende Geschichten aus der Dritten Welt, zum Beispiel über ein tolles Sozialprogramm des Klienten.

Gespickt mit "Buzz-Words" aus der PR-Welt

Weil sich der „Impact-Faktor“ solcher Stories aber abnutzt, will Flenders Held einen Schritt weitergehen: „Die Inszenierung aufmerksamkeitskritischer Events, auf die authentische Menschen authentisch reagieren und dann als Augenzeugen davon berichten, ist die neue Königsdisziplin. Event-based statt evidence-based communication“, heißt es in dem präsentisch erzählten Roman, der mit einschlägigen „Buzzwords“ aus der PR-Welt geradezu gespickt ist.

Der „Testlauf“ findet gleich zu Beginn im brasilianischen Regenwald statt. Vor den Augen der herbeigekarrten Journalisten folgt zunächst alles dem Hope-Story-Skript: Alleinstehende, von illegalen Brandrodungen um ihre Existenz gebrachte Bäuerin (in Wahrheit eine arbeitslose Schauspielerin) mit Baby (aus dem Waisenhaus ausgeliehen) kann dank des kostenlosen Saatguts des Klienten wieder Hoffnung schöpfen. Dann aber bricht plötzlich, Zufälle gibt’s, schon wieder ein Feuer aus, eine wahre Feuersbrunst sogar.

Hessels Motto: „Make it happen!“

Alles rennt zu den Jeeps, nur die Bäuerin nicht, denn die muss ihrer Rolle gemäß noch das Baby aus der bereits brennenden Hütte retten. Und auch der von seiner Inszenierung berauschte Thomas Hessel nicht, der einen „Augenzeugenclip“ aufnimmt, der auf YouTube prompt „viral“ geht. Die Folgen: eine schwer verletzte Schauspielerin (für deren Behandlung der „Casualties-Topf“ der Agentur aufkommt). Eine weltweite Empörungswelle gegen illegale Brandrodung, die zu strengeren Gesetzen führt. Und der Aufstieg von Thomas Hessel zum neuen Hoffnungsträger von Mars & Jung. Alles nach Hessels Motto: „Make it happen!“

Man merkt: Flenders Held ist keine Identifikationsfigur, vielmehr ein veritables Arschloch. Seiner Freundin schickt er schon mal ein vor einem Slum geknipstes Selfie mit Champagnerglas in der Hand. In seiner Besessenheit von Marken und Statussymbolen wie Ray-Ban-Brillen ist dem Zyniker seine Abstammung von den Egomanen Christian Krachts oder Bret Easton Ellis’ quasi auf die Stirn getackert.

Die "kommunikative Bewältigung" geht gründlich schief

Kennzeichnend für Flenders Protagonisten ist aber auch sein von Motivationsseminar-Sprüchen deformiertes, permanent um Selbstoptimierung bemühtes Angestelltenbewusstsein. Mit seiner schier unerschütterlichen Hybris redet sich Hessel noch die schlimmste Niederlage schön. Sein zweiter Auftrag ist die „kommunikative Bewältigung“ eines Fabrikbrandes in Kalkutta, der ein Modeunternehmen in die Schlagzeilen bringt. Als die Indien-Mission gründlich schiefgeht, bekommt Hessel nur noch Praktikantenjobs. Kein Grund zur Sorge für ihn, denn „ein paar Monate runterschalten hat ja noch keinem geschadet“.

Daher wäre – quasi mütterlicherseits – als weiteres Vorbild an die schein-toughe Versicherungsvermittlerin aus Thomas von Steinaeckers Roman „Das Jahr, in dem ich aufhörte, mir Sorgen zu machen“ zu erinnern: Wie diese Renate Meißner ist auch Hessel, der sich ständig zwanghaft Barthaare ausreißen muss, hinter seiner immer brüchigeren Fassade in Wahrheit ein von Tranquilizern dauersedierter Burn-out-Kandidat.

Die Kritik ging mit dem 29-jährigen Autor, der in Hildesheim literarisches Schreiben studiert hat und Mitherausgeber der Literaturzeitschrift „Bella triste“ war, bislang auffallend ungnädig um, jeglicher Debütantenbonus wurde für „Greenwash Inc.“ kurzerhand gestrichen: Zu traditionell erzählt sei der Roman, zu eindimensional und entwicklungslos sein Protagonist, und von den wirklichen Sorgen und Nöten von Unternehmen, die sich ernsthaft um Nachhaltigkeit bemühen, habe der Autor ohnehin keine Ahnung.

Restsympathie für den Antiheld

Nun ist aber „Greenwash Inc.“ kein Entwicklungsroman, sondern eine die Gegenwart zur Kenntlichkeit entstellende Satire, und in einer solchen sind sich entwickelnde Charaktere eher die Ausnahme. Auch kann sich ein Antiheld wie Thomas Hessel, weil er sich in einer scheinheiligen Welt als Einziger zumindest in Sachen Moral nichts vormacht, durchaus eine Restsympathie sichern. Sogar gegenüber seiner Freundin Marina, der promovierenden „unabhängigen“ Ethnologin, die am Ende selbst ihr Pöstchen im PR-System findet: „Wenn sie (…) leben würde, was sie predigt, hätte sie mich schon nach meiner ersten Mission für Mars & Jung verlassen. Doch vermutlich ist das bei ihr wie bei den Priestern im Beichtstuhl, die von Vergewaltigern auch immer alles ganz genau wissen wollen (…)“.

Dass Hessel am Ende als Sündenbock für ein sich selbst noch einmal grüner waschendes PR-System herhalten muss, ist nur konsequent. Abgesehen von einigen zu melodramatischen Szenen ist Flenders Roman jedenfalls grundsolide und vor allem höchst unterhaltsam geschrieben. Und schon deshalb lesenswert, weil er viele aktuelle Fragen stellt: etwa die nach dem erst jüngst in einer Studie als großer Ablasshandel entlarvten Zertifikatehandel. Die nach dem immer heikleren Verhältnis des „lecken Schiffs Qualitätsjournalismus“ zur PR. Und nicht zuletzt die nach der alltäglichen Schizophrenie unseres Konsumentendaseins.

Karl Wolfgang Flender: Greenwash Inc. Roman. DuMont Buchverlag, Köln 2015. 400 S., 19,99 €.

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