
© Mike Wolff
Unsere Guilty Pleasures (6): Rotes Blut auf weißen Laken
Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Aber schreiben. In der Serie Guilty Pleasures schauen wir in unsere Kitschecken. Teil 6: Krimis.
Stand:
Es fängt schon damit an, dass ich unauffällig zu den gelben Postkisten meines Kollegen Gerrit Bartels rüberschlendere, in die er als Literaturredakteur mit spitzen Fingern all jene Bücher versenkt, die allenfalls für den jährlichen Wohltätigkeitsbasar taugen, aber ganz bestimmt nicht als Besprechung für seine sonntags erscheinende Seite.
Ob mich einer sieht, wie ich da Kriminalromane rausfische, vermeintlichen Schund? Ja, ich gebe es freimütig zu, ich liebe es, abends wie die Mimi mit dem Krimi ins Bett zu gehen.
Das lasterhafte Vergnügen gönne ich mir in Abwechslung mit besseren Büchern, sogenannter höherer Literatur. Mein schlechtes Gewissen rät mir, die Balance zwischen E und U zu halten, obwohl längst ausgemacht ist, dass Krimis kein mieses Genre sind.
Selbst Bert Brecht war ein erklärter Krimi-Liebhaber
Da mögen in den Regalen des Brecht-Hauses an der Chausseestraße noch so viele „Detektivdramen“ in Reih und Glied stehen, der Hautgout bleibt, Kriminalromane gelten in der deutschen Bücherlandschaft immer noch als minderwertige Gattung.
Hinzu kommt, dass ich die Krimis rasend schnell lese, mir die Kapitel reinschiebe wie andere einen Riegel Schokolade nach dem anderen. Hinterher ist mir dann immer ähnlich übel, mit einem Völlegefühl knipse ich viel zu spät die Nachttischlampe aus; der Gatte schläft längst. Was noch schlimmer ist: Nur ein, zwei, drei Krimis später erinnere ich mich kaum noch daran, worin das Kapitalverbrechen bestand, was eigentlich der Plot war.
Das ergeht mir allerdings auch mit anderer Lektüre so, die Erfahrung machen viele. Da tröstet es kaum, dass Psychologen versichern, die Information sei im Kopf nicht wirklich verloren, sondern im gewünschten Moment einfach nur nicht abrufbar – wie in einer Bibliothek, wo das Buch falsch einsortiert wurde.
Jo Nesbø schreibt nicht nur blutrünstig, sondern auch tolle Kinderbücher
Zuletzt habe ich den neuesten Thriller von Jo Nesbø gelesen, aufgemacht mit schreiend roten Lettern, darüber fett der Verweis, dass der Autor weltweit schon 45 Millionen Bücher verkauft habe. Geht gar nicht. So etwas wird gschamig unters Bett geschoben. Doch diesmal war es ein Geschenk meines Sohnes, der meine Schwäche kennt.
Kaum hatte ich Silvia Bovenschens hingebungsvoll zartfühlendes Buch „Sarahs Gesetz“ zugeklappt, schlug ich auch schon am nächsten Abend den Nesbö auf; das Blut floss sogleich in Strömen aus den Seiten in meine Laken.
Morgens frage ich mich dann bang, inwiefern solche Lektüre prägt, was sie für’s Gemüt bedeutet und ob mehr hängen bleibt als nur die neuen englischen Vokabeln, mit denen ich mir das Positive herauszustreichen versuche. Unvergessen wird jedoch bei Nesbø die Entdeckung bleiben, dass er auch die Lieblingsbücher meiner Kinder schrieb.
Da draußen passiert wirklich Schlimmeres
Von ihm stammt ebenfalls die hinreißende Doktor Proktor-Serie, Abenteuer eines schrulligen Professors, der das Pupspulver erfand. Damals habe ich sie noch als Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen.
Mag sein, dass Krimis momentan besonders Konjunktur haben, als Möglichkeit zur Flucht aus der Realität. Es fühlt sich noch mal so kuschelig an, im Bett zu liegen oder auf dem Sofa zu sitzen und die Schrecken vor der Tür zu lassen oder noch besser: reduziert auf den Raum zwischen zwei Buchdeckeln.
Deshalb endlich Schluss mit dem schlechten Gewissen. Denn schon beginnt es sich nochmals zu regen – über ein schlechtes Gewissen angesichts so geringer Taten wie lässlicher Lektüre. Da draußen gibt es wirklich Schlimmeres.
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