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Kultur: "Rushmore": Lerne lieber ungewöhnlich

Ein Film über die Schule, aber ganz anders als alles, was wir unter dieser durchaus furchterregenden Rubrik zu sehen gewohnt sind. Das fängt mit Max Fischer, fünfzehn Jahre, 10.

Ein Film über die Schule, aber ganz anders als alles, was wir unter dieser durchaus furchterregenden Rubrik zu sehen gewohnt sind. Das fängt mit Max Fischer, fünfzehn Jahre, 10. Klasse, an. Max Fischer ist entschieden ungewöhnlich. Frühreif, könnte man sagen. Schon klar, kein Schulfilm kommt ohne diesen Vorwitz der Entwicklung aus, aber bei Fischer äußert er sich auf bemerkenswerte Weise. Er erkennt mit erbarmungsloser Schärfe, was Erwachsene oft nicht annähernd ahnen: worin der Inhalt ihres Lebens bestehen soll.

Mein Leben, sagt Max Fischer mit der Miene definitiver Einsicht in die letzten Dinge, ist die Schule. Und er sagt dies mit einem Gesichtsausdruck, der fortan fest an ihm haftet (überheblich, unausstehlich, wunderbar: Jason Schwartzman). Das ist natürlich eine tragische Erkenntnis, wie die meisten Erkenntnisse, die man mit fünfzehn macht. Denn Fischer ist ganz sicher der schlechteste Schüler, der die Eliteschule Rushmore je von innen gesehen hat.

Eben kommt er von einer Unterredung mit dem Direktor, seine Versetzung betreffend. Aber Fischer wirkt gelassen. Er weiß um seine Unentbehrlichkeit. Er weiß, Rushmore würde ohne ihn zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Auch das ist ein eher seltener Zug bei Fünfzehnjährigen: dieses ungemein Vorsorgende, Vorbauende. Und sieht Max bei dem Versetzungsgespräch nicht gerade so aus wie der Direktor und der Direktor eher wie ein durchgefallener Prüfling?

Ja, sprechen wir es ruhig aus: Max Fischer ist Rushmore: Er leitet die Schul-Theatergruppe, die ausschließlich selbstgeschriebene Max-Fischer-Stücke spielt, außerdem den Debattier-, den Bienenzüchter- und Schach-Club sowie den Deutsch-, Französisch-, Astronomie- und Kalligraphiekurs, was ihn seine Präsidentschaft beim Völkerball-, Tontaubenschieß-, Lacrosse- und Fechtverein keineswegs vernachlässigen und zudem noch genug Zeit lässt für den verantwortungsvollen Posten des Herausgebers und Chefredakteurs der verdienstvollen Zeitschrift "Yankee Review".

Nun ist das unbedingt eine possierliche Idee. Aber ist es schon eine Geschichte? Keinesfalls. Doch Wes Anderson macht eine daraus, und zwar genau auf Max-Fischer-Art: Gegen das Versagen, überhaupt alle Arten von schwarzen Löchern hilft nur unermüdliche Aktivität. Es gibt kein Zuviel, nur ein Zuwenig! Auch "Rushmore" ist im Grunde eine einzige Hochstapelei und dabei hinreißend pubertär. Es gibt nichts, mag Anderson sich gesagt haben, das nicht in meinen Film passt. Man muss nur zwischen all dem Zuviel die richtigen Luftlöcher lassen. Und seltsam, es passt wirklich.

Vor allem Bill Murray als Fabrikant und Millionär, denn schließlich braucht einer wie Max auch Sponsoren aus der Industrie. Oder wer sonst sollte das neue Open-air-Großraum-Aquarium bezahlen, das jetzt auf dem Sportplatz errichtet wird? Max Fischer lässt es einzig für die Lehrerin Miss Cross bauen - denn ebenso sicher wie er weiß, dass die Schule sein Leben ist, weiß er, dass Miss Cross die Liebe seines Lebens ist. Ihr verstorbener Mann war Meeresbiologe, und auch ihn, so beschließt Max Fischer nach Max-Fischer-Art, wird er ihr ersetzen.

Murray wiederum als Mr. Blume - schon der Name enthält kongenial das ganze Temperament des Fabrikanten - sponsort alle Max-Fischer-Projekte, was man beim ersten Blick auf seine beiden eigenen Söhne begreift. Zwei junge Muskelmänner ohne jeden Anflug von Max-Fischer-Kreativität.

Was "Rushmore" so unwiderstehlich macht, ist nicht nur die völlig normale Weltbeherrschungsvision aller fünfzehnjährigen Versager - und wer bitteschön wäre in dem Alter keiner? -, sondern vor allem deren kompromissloses Gelingen. Dass Fischer irgendwann doch von der Schule fliegt, ist überhaupt nicht wichtig. Denn seine neue Vorstadt-Highschool hat nun wirklich gar nichts. Keinen Fotokurs, keine Theatergruppe, noch nicht mal ein eigenes Open-air-Aquarium.

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