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Schach-Champion Sylvian (Gérard Depardieu) hat eigenwillige Lernhilfen für seinen jungen Schützling Fahim (Assad Ahmed).

© Tobis

Feelgood-Komödie um einen jungen Geflüchteten: Schachweltmeister ohne Aufenthaltserlaubnis

"Das Wunder von Marseille" basiert auf einer wahren Geschichte. Gérard Depardieu bringt ein paar Rotzlöffeln aus der Banlieue das königliche Spiel bei.

Französische Komödien bringen es derzeit besonders weit, wenn sie die Kulturschocks der multikulturellen Gesellschaft als versöhnliches Märchen erzählen. Zum Wohlgefühl-Faktor gehört es, dass junge Männer einer kulturellen Minderheit die Aura des alten weißen Bourgeois ins Wanken bringen, seine Ressentiments spielerisch unterminieren und am Ende die heile Aussicht auf bunte Familientableaus die Oberhand gewinnt. Piere-François Martin-Lavals ansehnliche Komödie "Das Wunder von Marseille" lockt zusätzlich mit dem Glaubwürdigkeitskredit einer authentischen Geschichte.

Gérard Depardieu, immer noch schillernd zwischen urfranzösischer Lebensart und Putin-affinem Privatanarchismus, steht in Martin-Lavals Bestsellerverfilmung für den Typ eines Cholerikers mit gutem Kern. Sein Herausforderer indes ist ein Kind, das achtjährige Schachgenie Fahim Mohammad (Assad Ahmed) aus Bangladesch, das die handfesten Sorgen seiner Existenz als sanspapier in die Schachschule mitbringt. Hier vorexerzeirt Depardieus Sylvain, ein kauziger Junggeselle und gescheiterter Champion, einer kleinen Truppe französischer Vorstadt-Gören die genialen Brett-Schlachten großer Meister.

Das Besondere an dieser amüsanten Multikulti-Starkomödie ist ihr Realismus. Gekonnt fängt die Kamera die bizarre Hässlichkeit der 1960er-Architektur im Großraum von Paris ein. Martin-Laval zeigt das Milieu der Unbehausten, die in Heimen leben, er begleitet Fahim in die neue Welt einer Banlieue-Schule, wo er sehr schnell lernt, seiner Umwelt in der neuen Sprache Paroli zu bieten. 

Fahim Mohammad wurde mit 12 französischer Schach-Meister

Es überwiegt eine  freundliche Grundstimmung, leibhaftig verkörpert von der herzensguten Mathilde (Isabelle Nanty), die von ihrem Schreibtisch aus Anteil nimmt an allen Winkelzügen zwischen Sylvain und seiner Rasselbande, und nicht zuletzt die verzweifelte Situation von Fahim und seinem Vater voller Empathie erfasst. Die Kinder der Schachschule, alle mit besonderem Gespür gecastet, werden ohne Schwierigkeiten Freunde, vor allem wenn sie sich mit Fahim über Sylvains Schrulligkeit lustig machen.

"Das Wunder von Marseille" erzählt den märchenhaften Aufstieg von Fahim Mohammad, der 2012 französischer Schach-Meister in der Kategorie der unter 12-Jährigen wurde, weitere Meisterschaften gewann und schließlich erreichte, dass seine Mutter und seine Geschwister nach Frankreich kommen konnten.

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Viel Zeit nimmt sich Martin-Laval für die eher action-gespannte als komödiantische Exposition seines Films, um die Fluchtgründe plausibel zu schildern. Fahims Vater Nura (Mizanur Rahaman), ein Feuerwehrmann, gerät in Dhaka in Straßenkämpfe zwischen Oppositionellen und korrupten Polizeikräften. Als die Polizei einen Artikel über sein Kind, das Schachgenie, bei ihm finden, droht man ihm unverhohlen, es verschwinden zu lassen. Der Vater täuschte ein Treffen mit dem Schachgroßmeister in Paris vor, um Fahim, der die Trennung von seiner Familie kaum verwinden konnte, schmackhaft zu machen.

Zwischen Heimweh und kindlichem Pragmatismus

Aus dem Zwiespalt zwischen Heimweh und kindlichem Pragmatismus bezieht Fahim Stärke und Widerspruchsgeist. Der Junge lernt schnell, das Schachspiel als "Krieg" der Worte auszuspielen und nutzt seine Winkelzüge in der Kindergruppe gegen die massige Dominanz von Gérard Dépardieu, wenn er seine permanente Unpünktlichkeit verteidigt, die strategischen Spielanweisungen überhört und den Trainer mit der peinlichen Frage konfrontiert, warum er nie selbst ein Champion wurde. Gérard Dépardieu lässt sich mit einem präzisen Timing, immer leicht zögerlich und zurückhaltend auf seine Rolle des ungeduldigen Patrons ein.

Fahims rasche Integration steht die Verzweiflung des Vaters entgegen. Das Geld geht aus, er findet sich im bürokratischen Dschungel nicht zurecht, das Asyl wird ihm verweigert und schließlich landet er  in einem Zeltdorf unter anderen Migranten. Erst das "Wunder von Marseille" löst den Knoten. Fahim braucht die Unterstützung der kleinen Schachfamilie, um ihn für den großen Sieg aufzubauen, ohne das Schicksal des Vaters zu vergessen. Piere-François Martin-Laval gelingt eine tröstliche Komödie, in der sich die französische Bourgeoisie selbstironisch spiegelt. Die Lust auf das Schachspiel kommt dabei nicht zu kurz.
In den Kinos Cinemaxx Potsdamer Platz, Filmkunst 66 (auch OmU), Kulturbrauerei (auch OmU), UCI Luxe Kino Mercedes-Platz

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