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Das Existenzielle im Körperlichen. Wieland Försters Bronze „Arkadischer Akt“ entstand im Jahr 1968.

© Eric Tschernow, VG Bild-Kunst, Bonn 2020

Schau feiert Wieland Förster: Kriegskind, Häftling, Bildhauer

Als Jugendlicher erlebte Wieland Förster den Zweiten Weltkrieg. Seine Werke kreisen um das Überleben. Das Kunsthaus Dahlem feiert den 90-jährigen Bildhauer.

Der Kuratorin empfahl der Bildhauer, seine Plastiken unbedingt auch zu berühren, und zwar mindestens zweimal täglich. Leider darf das nicht jeder. Aber auch sie mit den Augen zu ertasten, ist eine fast haptische Erfahrung. Über 30 Arbeiten Wieland Försters laden im Kunsthaus Dahlem dazu ein.

Rückblende 1954: Der aus Dresden angereiste Kunststudent Wieland Förster sitzt nach Zoll- und Polizeikontrollen endlich vor der Ateliertür des Bildhauers Bernhard Heiliger an der Westberliner Kunsthochschule am Steinplatz.

In Dresden, wo er herkommt, wird der von Ost nach West übergesiedelte Heiliger als Abtrünniger ausgegrenzt, als Formalist verachtet, gar lächerlich gemacht.

Förster sucht gerade deshalb den Kontakt, die kollegiale Reibung. An die übermannshohen, archaisch-lichten Figuren, die er in Heiligers Atelier sah, erinnert sich Förster bis heute.

Jetzt stehen einige davon im ehemaligen Heiliger-Atelier im Kunsthaus Dahlem. Der 90-jährige Förster hat sie ausgesucht. Der Hauptraum jedoch gehört ihm und seinen großen Bronzegestalten.

Schreckliche Kriegserlebnisse

Die unter Corona-Bedingungen in kürzester Zeit ermöglichte Ausstellung hat der Bildhauer entschlossen unterstützt. Damit nicht nur Kleinformatiges gezeigt werden kann, während parallel noch seine große Retrospektive im Angermuseum in Erfurt läuft, stellte er kurzerhand kapitale Bronzegüsse aus seinem persönlichen Besitz in Wensickendorf zur Verfügung, die ansonsten bisher noch nicht gezeigt wurden.

So behauptet sich jetzt als Zentralgestirn der Ausstellung eine mächtige, in sich zusammengekauerte Männerfigur auf hohem Sockel.

Förster widmete seinen „Großen Trauernden Mann“ „den Opfern des 13. Februar in Dresden“, eine Schlüsselfigur.

In ihr kompaktes Volumen eingeschrieben sind Försters schreckliche Kriegserlebnisse als Jugendlicher. Dieser hockende Klumpen Mensch ist eine Kreatur aus Angst, Trauer, nacktem Überlebenswillen.

Nach Kriegsende war der Horror für Förster nicht vorbei: 1946 denunziert wegen angeblichen Waffenbesitzes, verbrachte der junge Mann drei Jahre Haft in Bautzen, was seine Gesundheit ruinierte.

Fragmentarische Körper als Leitmotiv

Seine plastischen Körper ringen darum sich zu behaupten, gegen alle Widerstände. Sie sind versehrt, verformt, oft fragmentarisch. Das uralte Thema des Torsos zieht sich wie ein Leitmotiv durch: von dem frühen „Kopf der Gelähmten“, der seinen ruhigen Blick nach oben gen Himmel richtet und wie eine runde Frucht ohne Sockel daliegt, bis zu den schlanken „Daphne“-Figuren aus den 1990er Jahren.

Zu der frühen Kopfplastik regte den Bildhauer die Begegnung mit einer bewegungsunfähigen Frau an, die im Hinterhof seines Prenzlauer Berg-Ateliers lebte. Die späten Daphnen greifen ein Thema auf, das vom barocken Bernini bis zur modernen Renée Sintenis schon viele Bildhauer herausforderte.

Bei Försters stelenartig in die Höhe gerecktem Volumen ist vom Fluchtimpuls der vor Apolls Liebesbegehr fliehenden Göttertochter kaum noch etwas zu spüren. Ihr prozesshaft aus der plastischen Materie gekneteter Leib scheint wie im Mythos geschildert bereits ganz in der Verwandlung zu einem schrundigen Baum.

Mahnmale in der DDR

Der geschundene „Marsyas“ von 1999 dagegen, ebenfalls aus der antiken Welt entstammend, kehrt kopfüberhängend auf grausame Weise die Schwerkraft um. „Jahrhundertbilanz“ nennt Förster diesen gequälten Leib, der sich aus Dellen und Wölbungen zu einem amorphen Gebilde formt. Gleich drei solcherart Gemarterte ballte Förster bereits 1966 in einem Mahnmalentwurf für die NS-Opfer zusammen. Passte das ins Konzept des Sozialistischen Realismus?

Innerhalb des DDR-Kunstsystems navigierte Künstler auf schmalem Grad zwischen Anerkennung und Anecken. Es gab Konflikte mit den Funktionären, Ausstellungsverbote, Projektabsagen, aber auch hochdotierte Aufträge, Arbeiten im öffentlichen Raum und 1978 die Ernennung zum 5. Vizepräsident der Akademie.

Die goldene „Nike“ an der Glienicker Brücke, 1999 aufgestellt, signalisiert, dass Försters Wertschätzung mit der Wende keinen Bruch erfuhr. Sein Konzept, das Existenzielle im Körperlichen darzustellen, blieb für Mahnmale weiterhin aktuell.

Die Ausstellung erzählt sein Schaffen nicht chronologisch nach, sondern schafft quer durch Vor- und Nachwendezeiten Dialogsituationen, die auch Gegensätze und Brüche offenbaren. Die „Große Neeberger Figur“ aus den 1970er Jahren, nach Försters Ansicht eines seiner Hauptwerke, wirkt mit ihrer Glätte und eingezwängten Erotik allzu gewollt im Vergleich mit der intensiven, offenen Formensprache anderer Arbeiten.

Minetti spielt alle an die Wand

Ein eigenes Kapitel bilden die versammelten Porträtköpfe, nebst einer Sitzstatuette Thomas Manns. Der Schriftsteller sitzt in diesem Bildnis lässig mit Zigarre im Fauteuil wie ein Wiedergänger der 1950er Jahre. Dazu gesellen sich Tänzerin Gret Palucca, Intendant Walter Felsenstein, Maler Otto Nagel und Komponist Hanns Eisler: Auftragswerke aus DDR-Zeiten. Willy Brandt lugt von der jenseitigen Raumecke herüber.

Aber Bernhard Minetti spielt sie alle an die Wand. Sein 1991/92 entstandenes Bronzebildnis ist einfach eine Wucht. Aus der nur fragmentarischen Schulterpartie wächst der Kopf hervor. Alle Spannung liegt im Blick, der kantige Kiefer schiebt sich kaum merklich zur Seite. Die asymmetrische Gesamtform vermittelt Dynamik. Hat man etwas Ähnliches nicht schon bei Bernhard Heiliger gesehen? Dessen einprägsam stilisiertes Porträt des Malers Karl Hofer von 1951 steht nebenan im kleinen Atelier: ebenso asymmetrisch in seiner Grundform und doch völlig anders. Kunsthaus Dahlem, Käuzchensteig 12, bis 18. 10.; Mi bis Mo, 11 – 17 Uhr

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