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Zart und schaurig. Carina Linges "Dame mit Kaninchen", 2008.

© Carina Linge / Galerie im Körnerpark

Schau in der Galerie im Körnerpark: Versuch, das Zarte zu fassen

Schwebende Trümmer und Fetischobjekte: Anne Brannys' Buch „Eine Enzyklopädie des Zarten“ ist in der Galerie im Körnerpark zur Ausstellung geworden.

Das Zarte ist „kleiner, feiner, zerbrechlicher, weicher als ein anderes“, heißt es in Anne Brannys’ „Enzyklopädie des Zarten“, ein Buch, das in der Galerie im Körnerpark zur Ausstellung geworden ist. Von einem einzigen Begriff ausgehend, dringt Brannys in alle erdenklichen Winkel der Kunst, der Natur- und Geisteswissenschaft vor. Die Künstlerin hat den Begriff des Zarten zerpflückt und seziert, so dass man befürchten könnte, es wäre danach gar nicht mehr da. Ist es aber. Zum Beispiel in Form von blechern anmutenden, polymorphen Gebilden, die von der Decke hängen und aussehen wie Weltraumschrott – oder wie die buckligen Leiber urzeitlicher Tiere. Anna Myga Kasten hat diese Formen gebaut, die sehr schwer wirken. Dabei sind sie aus Papier. Zart ist ihr Material, nicht ihre Form. In solchen Spannungsfeldern befindet man sich ständig, wenn man sich auf Brannys’ Ausstellungsexperiment einlässt.

Die Wahlberlinerin studierte freie Kunst an der Bauhaus-Universität Weimar. Kürzlich hat sie die „Enzyklopädie des Zarten“ veröffentlicht, die mit Essays, Gedichten und Bildern, den Begriff umkreisen – von A wie Atem bis Z wie Zorro. In einer Ausschreibung forderte Brannys andere Künstler auf, Arbeiten mit Bezug zum Zarten einzureichen. 43 sind in der Ausstellung zu sehen, ebenso wie das Buch, auf das es immer wieder Querverweise gibt. Ihre eigenen Installationen seien oft als zart beschrieben worden, sagt Brannys. Das gab ihr den Anstoß, den Begriff zu untersuchen. Ihre zweite Leidenschaft gilt Ordnungssystemen. Am Anfang ihrer Arbeit stand eine Zettelsammlung, die sich nun zu einer begehbaren Enzyklopädie ausgewachsen hat. Um die Zeichnungen, Installationen, Skulpturen, Audioarbeiten und Filme zu präsentieren hat Brannys den langgestreckten Ausstellungssaal mit Vitrinen rhythmisiert. Die Videos sind in kleine Kästen mit Guckloch montiert. Alles hat seinen Ort und wirkt trotzdem nie penibel sortiert.

Manchmal ist der Begriff mit Empfindsamkeit oder Schmerz verbunden

Bei den schwebenden Trümmern am Eingang kann man kann nicht genau sagen, ob sie der Wissenschaft oder der Fantasie zuzuordnen sind. Eine unheimliche Aura umgibt auch die Arbeiten der Bildhauerin Yvonne Roeb. Die Skulptur „Helix“ im hinteren Teil der Schau sieht aus wie eine Mischung aus schwarzer Gummischlange und Pferdeschwanz, ein Zwitter aus Präparat und Fetischobjekt. Das Dazwischen scheint ein wichtiger Aspekt des Zarten zu sein. Ausgehend von Magnus Hirschfelds nüchterner Bildersammlung der „sexuellen Zwischenstufen“ erforscht die Künstlerin Marion Denis in eigenen Bildern das Wesen der Androgynität. Sie fotografierte Menschen, Pflanzen und Objekte, von denen teils nur Details zu erkennen sind. Es geht um die Kippmomente des Erkennens.

Die Kunstwerke kreisen in weitem Bogen um den Begriff des Zarten. Manchmal ist er mit dem Körperlichen, mit Empfindsamkeit verbunden. Auch mit Schmerz wie bei den Videoporträts von Dagmar Fella. Sie zeigt als Triptychon arrangiert Nahaufnahmen von Gesichtern, die etwas zu erdulden scheinen – Fella hat Menschen in der Sauna gefilmt. Und natürlich kommt das Zarte auch in seiner leichten Form zum Ausdruck. Von der Künstlerin Edith Kollath ist ein weißes, durchschimmerndes Tuch zu sehen, das mittels eines elektrischen Mechanismus zur Decke gezogen wird und dann immer wieder zu Boden schwebt – und niemals fällt es auf genau dieselbe Weise. Das Zarte lässt sich schwer greifen.

Galerie im Körnerpark, Schierker Str. 8, Neukölln, bis 18.4., Mo-So 10-20 Uhr

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