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Der Neubau am neuen Gebäudekomplex der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Schauspielschule "Ernst Busch": Verführung zum Dialog

Die Theaterleute kommen! Die Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ bezieht nächste Woche ihr neues Domizil in der Zinnowitzer Straße.

Theatermachen ist Handwerk: Diese Botschaft vermittelt der eigenartige Bau mit Werkstattcharakter nahe dem Berliner Nordbahnhof. In einer Baulücke der Zinnowitzer Straße schiebt sich ein Kubus mit Holzlattenfassade ins Blickfeld, der neugierig macht. Erst aus der Nähe wird deutlich, dass es sich um einen neuen Anbau an ein stattliches Bestandsgebäude handelt. Am 26. Oktober ist offizielle Einweihung. Die Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, eine der ersten Adressen im deutschsprachigen Theater, hat viele Jahre darauf gewartet.

Der vormalige Funktionsbau für die Opernwerkstätten wurde in den vierziger Jahren begonnen und blieb infolge des Zweiten Weltkriegs unvollendet. Erst zu DDR-Zeiten im Jahr 1953 konnte das Gebäude in Betrieb genommen werden. 2010 zogen die Opernwerkstätten wieder aus. Der wertvolle freie Teil des Grundstücks an der Chausseestraße wurde veräußert und mit einem Hotel bebaut. Seitdem stand das Haus ohne repräsentativen Auftritt ziemlich vergessen im Hinterhof.

Doch es sollten wieder Theaterleute einziehen. Einen Architektenwettbewerb zum Umbau als neuen Standort der Schauspielschule „Ernst Busch“, die lange Zeit in Niederschöneweide zu Hause war, gewannen 2011 die Architekten Ortner & Ortner Baukunst Berlin/Wien. Für die Theaterwerkstätten, für Lehr- und Proberäume, Bibliothek und Büros bot das Bestandsgebäude hinreichend Raum, wenngleich die Architekten viel Mühe aufwenden mussten, um gemeinsam mit dem Nutzer das Raumprogramm zu minimieren und zu optimieren. Für die beiden Theatersäle gab es in der Immobilie allerdings keinen Platz. Eine Sonderlösung musste gefunden werden. Da der Bestandsbau nicht unter Denkmalschutz steht, konnten die Architekten an der Südostseite eine Gebäudeecke abreißen und den ausladenden Bühnenanbau einklinken.

Auch im Dachgeschoss sind die Räume hoch genüg zum Üben

Der Altbau wurde komplett in eine Wärmedämmfassade gepackt, die Dachgesimse verlängert und ein bauzeitlich passender Putz aufgetragen, sodass er seine Entstehungszeit nach wie vor erkennen lässt. Ortner & Ortner Baukunst hatten den Wettbewerb auch deshalb gewonnen, weil es ihnen gelang, die unterschiedlichen Raumfunktionen der Schule auf überzeugende Weise in dem Gebäude unterzubringen. Die zunächst radikale und aufwendig erscheinende Maßnahme, das Sheddach abzubrechen, eröffnete die Möglichkeit, durch Dachversprünge den Übungssälen im Dachgeschoss die angemessene Raumhöhe zu geben. Außerdem hätte das betagte Stahlfachwerk umfangreiche Sanierungs- und Brandschutzmaßnahmen erfordert.

ImTreppenhaus des neuen Gebäudes der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch unweit des Nordbahnhofs.
ImTreppenhaus des neuen Gebäudes der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch unweit des Nordbahnhofs.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Wer das Gebäude nun über den neuen Haupteingang am Südgiebel betritt, findet sich in einem großzügigen Foyer wieder, das sich nach links in den flachen Anbau der Cafeteria öffnet, geradeaus zum großen Treppenhaus führt und rechts die neuen Theatersäle erschließt. Auch hier herrscht der Werkstattcharakter vor. Der Holzlamellenkubus entpuppt sich im Inneren als zweite Raumhülle um die beiden Theatersäle, die als schlichte Blackboxes in einem Betonkörper übereinandergestapelt sind. Die Zuschauer erklimmen offene Treppen und begehen Umgänge um die Säle und fühlen sich zwischen Maschinerien und Lüftungsrohren wie im Bühnenhaus mitten unter den Akteuren.

Das gilt auch für die Innenraumgestaltung der gesamten Schule. Böden, Wände und Türen sind nur bis zu einer Höhe von 2,50 Meter neu und akkurat gearbeitet. Die Wände darüber und die Decken blieben unverkleidet. Die Altbauwände im Rohbaustadium, die neuen Gipskartonwände zwar verspachtelt, aber ohne Anstrich, die Leitungen offen verlegt. Die Dualität ist reizvoll und programmatisch zugleich. Im Haus wird hart gearbeitet, da ist für elaboriertes Design kein Raum. Die Flurwände sind mit Tafelfarbe gestrichen und können beschrieben werden.

Ortner & Ortner haben den historischen Bau zum Reden gebracht

Die meisten Architekten, auch einige aus dem Wettbewerbsverfahren, hätten sich den Bestandsbau gefügig gemacht und ihn durch Zwangserneuerung seines Charakters beraubt. Ortner & Ortner haben den historischen Bau zum Reden gebracht, zum Dialog mit dem heutigen Theaterbetrieb verführt. Robuste Materialität handwerklicher Arbeit und Ruinenästhetik verbinden sich zu einem spannenden, anregenden Amalgam.

Freiwillige Denkmalpflege könnte man es nennen, wie die Architekten die eigenartige Ästhetik im Äußeren bewahrten und im Inneren immer wieder Fenster in die bewegte Vergangenheit des Bauwerks öffneten. Sie haben aus dem begrenzten Budget – mit Kosten von 44 Millionen Euro – eine Tugend gemacht und den Theaterleuten für ihre zeitgemäße Arbeit, die im Regelfall ebenfalls ohne schönen Schein und Ästhetisierung auskommt, das kongeniale Ambiente geschaffen.

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