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Kultur: "Schöne neue Welt. BSE": Mit Soma ins Koma

Die Volksbühne setzt ihre Versuchsreihe zur genoptimierten Zukunft des Menschengeschlechts fort. Was mit Castorfs Adaption von Houellebecqs Roman "Elementarteilchen" als Ausflug in den Swingerclub begann, wird in Johann Kresniks neuer Inszenierung mit einer Abenteuersafari durch die jüngsten Skandalthemen fortgesetzt: BSE!

Die Volksbühne setzt ihre Versuchsreihe zur genoptimierten Zukunft des Menschengeschlechts fort. Was mit Castorfs Adaption von Houellebecqs Roman "Elementarteilchen" als Ausflug in den Swingerclub begann, wird in Johann Kresniks neuer Inszenierung mit einer Abenteuersafari durch die jüngsten Skandalthemen fortgesetzt: BSE! Enschlüsselung des menschlichen Genoms! Das geklonte Schaf Dolly! Und auch die neue Intifada scheint dem Choreographen bei der morgendlichen Zeitungslektüre nicht entgangen zu sein, so dass er uns jetzt zeigt, wie es ein palästinensischer und ein israelischer Soldat miteinander treiben: "Wir kommen! Wir kommen!"

Das hat zwar mit dem Thema des Abends, Aldous Huxleys Science-Fiction-Roman "Brave New World" (von 1932), nicht das Geringste zu tun, passt aber gut zu Kresniks Lieblingskombination von Sex, Gewalt und Politik, bzw. Blut, Sperma, Nationalfahnen und Pyrotechnik. Das Missverständnis der Inszenierung beginnt mit dem ersten Bild - und währet ganze hundert Minuten, und damit zehn Minuten länger als ein Fußballspiel. Wahrscheinlich schaute deshalb Premierengast Otto Rehhagel dauernd auf seine Uhr. Im ersten Bild der Aufführung zeigt Kresnik, wie er sich den Menschenpark der Zukunft vorstellt, nämlich als ein Mischung aus industrieller Menschentierhaltung und Manchester-Kapitalismus, ein Crossover von frühem neunzehntem und spätem einundzwanzigstem Jahrhundert. Die graue Masse der Arbeiterklasse, die Verlierer in der Gen-Lotterie ("Epsilons") vegetiert in stählernen Legebatterien, die zuchtgeformten Herrenmenschen ("Alphas") tragen wie die alte Bourgeoisie schwarze Anzüge und arrogante Visagen. Dieser rührende Versuch, alte Klassenkampf-Schablonen mit Genforschungs-Fantasien aufzuladen, verfehlt beides: Den modernen Kapitalismus und die Biopolitik der Zukunft.

In der Genforschungs-Industrie geht es nicht um die Züchtung von Kasten, sondern um im Labor hergestellte Ersatzorgane, um genoptimierte Nahrungsmittel oder die Bekämpfung von Erbkrankeiten. Der moderne Kapitalismus braucht keine Arbeitssklaven, sondern beutet für seine Innovationsschübe solch empfindlichen Dinge wie Phantasie, Eigeninitiative und Kreativität aus (wie man spätestens seit der Lektüre von Jeremy Rifkin wissen könnte). Aber dass Kresnik offenbar keine Ahnung hat, wovon er szenisch handelt, ist nicht weiter schlimm, sind ihm seine Stoffe doch ohnehin nur der austauschbare Anlass für seine seit langem leerlaufende Trivialästhetik der kleinen, bunten Schockmomente.

Kresnik benutzt die Horrorfantasien des Romans, um routiniert seine üblichen Schreckensbilder zu arrangieren. Einer nackten, auf den Boden gefesselten Frau wird eine in Folie gepackte Baby-Puppe auf den Bauch geklebt. Später wird das Muttertier auf einem Altar geopfert und mit Schokoladencreme bespritzt. Die Arbeitssklaven werden per Trichter nicht mit Vollmilchschokolade, sondern mit der Glücksdroge "Soma", einer Mischung aus Tiermehl und Psychopharmaka, abgefüllt. In Ganzkörperkondome eingezwängte Tänzer zappeln an der Rampe, und weil zwischen Gummihaut und Körper Wasser sprudelt, darf der Kenner der menschlichen Anatomie an eine Fruchtblase denken. Dazu spielt eine Cellistin die anrührendsten Melodien, weil zum Schreckensbild als Ornament ein bißchen Kitsch gehört.

Als einem bedauernswerten Darsteller eine Art Wasserhahn ans Genital geklemmt wird, an dem ein langer, dicker Schlauch hängt, ist die Grenze zu sinnfreiem Blödel-Trash längst überschritten. Eine Horde mit weißen Kitteln und Mundschutz reibt und streichelt an diesem Schlauch, bis am Ende weiße Flüssigkeit herausspritzt, die in Blecheimer abgefüllt wird. Das war der Augenblick, an dem man sich fragte, wann Kresnik zum splatter movie wechselt - irgendwo will er schließlich arbeiten, wenn sein Vertrag an der Volksbühne in zwei Jahre ausläuft.

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