zum Hauptinhalt
Neuer Lebensabschnitt. Schon vor zwei Jahren machte Solist Joachim Pliquett beim DSO einem jüngeren Musiker Platz.

© Frank Eidel

DSO-Musiker Joachim Pliquett: Schöne Töne, edle Tropfen

Als Solo-Trompeter stand Joachim Pliquett vierzig Jahre im Rampenlicht des Deutschen Symphonie-Orchesters. Jetzt widmet er sich seiner zweiten Leidenschaft, dem Wein.

Von Frederik Hanssen

Stand:

Kann man als Orchestermusiker überhaupt in Rente gehen? Ist man dafür nicht zu verwachsen mit seinem Instrument, mit dem man – die Übungsstunden eingerechnet – mehr Lebenszeit verbracht hat als mit den Menschen, die einem am nächsten sind? Der Ruhestand, so scheint es, wurde nicht gerade für Menschen erfunden, die Töne produzieren.

Aber es gibt Profis, die ihre Geige, ihr Horn oder auch die Paukenschlegel nicht mehr anrühren, sobald sie die gesetzliche Altersgrenze erreicht haben. Man hört sogar von Pensionären, die ihre Instrumente verkaufen. Andere musizieren nur noch im privaten Rahmen. Andererseits gibt es die Unermüdlichen, die einfach weitermachen müssen, da capo al fine, weil die Liebe zum handgemachten Klang so groß ist. Oder weil sie sich für unverzichtbar halten. Sie lassen sich als Aushilfe engagieren, vom eigenen ehemaligen Orchester ebenso wie von den so- genannten Muggen-Truppen, den Ensembles musikalischer Gelegenheitsarbeiter.

In letztere Kategorie möchte Joachim Pliquett nicht gehören. Er hat sogar schon zum Ende seiner Berufslaufbahn hin kürzergetreten, ist vor zwei Jahren freiwillig von der Position des Solo-Trompeters beim Deutschen Symphonie-Orchester, die er seit 1982 glänzend ausgefüllt hat, auf eine normale Stelle gewechselt, um Platz für nachrückende Jüngere zu machen. Das ist keine Selbstverständlichkeit und wird seitens der staatlichen Arbeitgeber auch nicht gefördert, obwohl doch gerade bei Bläsern mit dem Alter der Stress wächst, weil die Spannung der zum Spielen nötigen Muskeln naturgemäß nachlässt.

Als beim DSO der Stuhl neben seinem Stammplatz frei wurde, hat Joachim Pliquett nicht gezögert und ist aus dem Rampenlicht getreten. Das war ihm möglich, weil er seine Trompete stets als Mittel zum Zweck angesehen hat, um in großer sinfonischer Besetzung spielen zu können, wie er im Gespräch erzählt. Und weil es da bereits eine klare Perspektive für den nächsten Lebensabschnitt gab.

Arbeitseinsatz bei der Weinlese

Joachim Pliquett trinkt gerne deutschen Wein, bevorzugt weißen, am liebsten Riesling und Silvaner. Und er hat vor einem Jahrzehnt begonnen, diese Leidenschaft zu professionalisieren. „Ich wollte mehr wissen und habe bei einem Würzburger Winzer angefragt, ob ich bei der Lese mithelfen kann“, sagt er. Das ist zwar ein Knochenjob, aber der Einblick in die Praxis war für Pliquett äußerst erhellend. Und machte Lust auf mehr. Weitere Arbeitseinsätze folgten, inzwischen hat er unter anderem einen Abschluss der Sommelier-Schule in Koblenz in der Tasche und bekam vom Deutschen Weininstitut den Titel „German Wine Professional“ verliehen. Und es macht ihm Spaß, „seine“ Winzer als Repräsentant auf Berliner Weinmessen zu vertreten.

Joaquim Pliquett, 1957 in Hamburg geboren, begann seine Musikerkarriere während des Wehrdiensts, beim Luftwaffen-Musikcorps Karlsruhe, studierte dann in Mannheim und bekam eine erste Stelle in Ludwigshafen, wo damals der junge Christoph Eschenbach Chefdirigent war. Nach viereinhalb Jahren bewarb er sich dann in Berlin, beim damals noch Radio-Symphonie-Orchester genannten heutigen DSO.

Seit 1982 spielte Joachim Pliquett beim Deutschen Symphonie-Orchester die Solo-Trompete.

© Peter Adamik

„Das Niveau dort war für mich überwältigend“, erzählt er. Zwei Jahre arbeitet er hart an sich, um mithalten zu können. Denn der Job ist genau das Richtige für ihn, er genießt die stilistische Flexibilität, die Rundfunkorchester zeigen müssen, die vielen verschiedenen Aufgaben von den Produktionen fürs Radio über Schallplattenaufnahmen mit grandiosen Solisten bis hin zu den Auftritten in der Philharmonie. Die mutigen Programme mit vielen Uraufführungen und Wiederentdeckungen in der Ära des geschätzten Intendanten Peter Ruzicka sind ihm in bester Erinnerung.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Neben dem Orchesterdienst spielt Pliquett viel Musik von Johann Sebastian Bach, seit 1979 im Duo mit dem Organisten Arvid Gast, aber auch mit dem Windsbacher Knabenchor. In der Gedächtniskirche organisiert er Kantaten-Aufführungen mit den Deutschen Kammervirtuosen. Und er engagiert sich bei den „Brandenburgischen Sommerkonzerten“ seit der Gründung 1991, zunächst als musikalischer Berater, später dann als ehrenamtlicher künstlerischer Leiter.

Blickt er zurück auf die Jahrzehnte als Profimusiker, fällt ihm auf, wie sehr sich die Art der Klassikrezeption in der Öffentlichkeit gewandelt hat. Als er eintauchte in diese Klangwelten, war es noch üblich, dass in bürgerlichen Kreisen Hausmusik gemacht wurde. Entsprechend vertrauter war das Publikum mit den Komponisten, die im Konzertsaal gespielt wurden. Ihren Nimbus hat die Klassik verloren, findet Pliquett, Werbung werde darum auch in diesem Bereich immer wichtiger, die attraktive Verpackung der Inhalte.

Auch beim Wein geht es um die Verfeinerung der Sinne

Bei jüngeren Musiker:innen beobachtet er, dass ihnen Perfektion oft das Wichtigste ist. „Heute wird makellos musiziert. Aber eben auch auf Nummer sicher.“ Früher, findet er, ging es mehr um Ausdruck und Stilistik. Dafür waren die Interpreten dann auch bereit, Risiken einzugehen. Bei den Winzern ist die Entwicklung umgekehrt: Da wächst in jüngster Zeit eher der Mut zur Individualität.

Beim Weintrinken, das kein Saufen ist, gibt es eine starke Verbindung zur Klassik: Dann es geht dabei um die Verfeinerung der Sinneswahrnehmung, so , wie beim aufmerksamen Zuhören im abgedunkelten Konzertsaal. Winzer interpretieren das Potenzial ihrer Trauben ebenso wie Musiker die Werke alter Meister. Vieles ist von vornherein festgelegt, hier durch die Natur, dort durch die Partitur – aber den Kreativen bleibt immer ein Spielraum. Und aus dem entsteht dann Kunst.

Die besten Deutungen haben dabei oft eine lange Reifezeit hinter sich, im Kopf oder im Fass: Säuregehalt, Restzucker, das Bouquet, das sind Parameter, die sich auch auf die Musik übertragen lassen. Die Versuche der Musikkritiker:innen, klingende Luft im Nachhinein in Worte zu fassen, werden von der Poesie der Weinverkoster allerdings lässig übertroffen. So manche Produktbeschreibung liest sich wie Lyrik, im Rausch verfasst.

Joachim Pliquett wird man künftig häufiger in seinem „Weinoffice Berlin“ antreffen, einem Ladengeschäft in der Forststraße, gleich um die Ecke vom Breitenbachplatz. Nachdem sich seine Kennerschaft im DSO-Kollegenkreis herumgesprochen hatte, wurde er erst gebeten, für andere Wein mitzubestellen. Dann kamen Probierrunden hinzu, die er aber nicht in der eigenen Wohnung veranstalten wollte. Also mietete der Musiker einen Laden. Zum Geldverdienen betreibt er ihn nicht, sondern um einen Ort zu haben, an dem er mit Gleichgesinnten über Weine sprechen kann, für die er sich begeistert. Eine Trompete übrigens lässt sich – bei entsprechendem Durst und mit ein wenig gutem Willen – auch als Weinglas verwenden. Einen Korken fest ins Mundstück schieben, den Schalltrichter nach oben drehen, einschenken: Prosit!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })