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Kultur: Schrei dich frei

Pigor & Eichhorn Vol. 8 in der Bar jeder Vernunft.

Brüllen, das isses. Oder laut aufheulen und grunzen. Weg mit der wohlanständigen Mittelstandsklemmigkeit. Mit dem kleingeistigen Anpassertum, schlecht verkleidet als Toleranzgebot. Schreit, wenn euch zum Schreien ist. Grund dazu gibt’s wahrlich genug. So, wie Pigor das immer wieder macht, und einmal auch Eichhorn in seiner bitterbösen, aus Liebesleid geborenen Hass-Hymne „Enerwé“.

Ganz schön aufpulvernd, das mittlerweile achte Programm von Sänger Thomas Pigor und Pianist Benedikt Eichhorn. Seit 1995 löcken die Kabarettisten als Stachel im Fleisch menschlicher Mittelmäßigkeit. Eichhorn wird immer grauer, Pigor immer breiter, das Outfit immer zurückhaltender, die Show immer besser. Lieder wie „Hö Hi Ho“, in dem Pigor vorschlägt, NSA-Abhörer durch deutsche Dorfdialekte auszuknocken, die Entscheidungsträgersatire „Vorteilsnahme und Inkompetenz“ oder die Bestandaufnahme des internationalen Deutschen-Bildes „Sie hassen uns wieder“ sind Supernummern. Analytisch scharf, musikalisch facettenreich. Und wie das Publikum aufseufzt und sich erkannt fühlt, wenn Pigor Alltagszenen aus dem städtischen Mittelstandsprekariat karikiert. Wie in dem im moralinsauren Brecht-Lieder-Duktus vorgetragenen To-do-Listen-Song oder in der Schimpfkanonade auf nervige Gäste namens „Gastgeber“.

Was den Demaskierungsgrad bei gleichzeitigem Identifikationsfaktor betrifft, kommt hier im deutschen Musikkabarett nur Rainald Grebe mit. Bei dem gibt’s aber nie Wodka für alle. Nach vier Zugaben – darunter die alten Hits „Heidegger“ und „Hitler“ – gehen in der Bar jeder Vernunft die Lampen an. Der „Salon des 21. Jahrhunderts“, den Pigor und Eichhorn mittels Drei-Minuten-Lektionen in Wagner oder Esperanto als roten Faden ihrer moderativen Schlagabtausche bemühten, schließt wirklich viel zu früh. Gunda Bartels

bis 10. 11., Di–Sa 20 Uhr, So 19 Uhr

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