
© Kitty Kleist-Heinrich, TSP
Schreiben in der Diaspora: Von der Unmöglichkeit, jemals völlig dazuzugehören
Das Parataxe-Symposion „Writing Chinese in Berlin“ bringt am 19. Oktober unterschiedlichste chinesischsprachige Stimmen im Maschinenhaus der Kulturbrauerei zusammen. Wir dokumentieren vorab einen Auszug aus der Rede von Liya Yu.
Stand:
Im September druckte die „New York Times“ ein langes Interview mit dem jungen thai-amerikanischen Schriftsteller Tony Tulathimutte. Er konstatiert darin, dass es momentan für asiatisch-diasporische Menschen drei Wege gibt, mit der eigenen Identität umzugehen: Entweder man versucht, wie ein weißer Mensch zu werden und lehnt die eigene asiatische Identität und den dazugehörigen Körper ab, oder man eignet sich diese Identität, von der man eigentlich entfremdet ist, neu an, oder aber man identifiziert sich mit einer anderen unterdrückten Minderheitsidentität oder Bewegung, zum Beispiel Black Lives Matter.
Was aber, fragt Tulathimutte, wenn man diese drei Wege nicht gehen will, wenn man einfach nur ein individueller Mensch sein möchte?
Ich bin gerade nach drei Jahren in Taiwan nach Berlin zurückgezogen. Dort habe ich viel über die Dehumanisierungstendenzen innerhalb Asiens nachgedacht, unter anderem auch die Herausforderung für Han-Chinesen, sich der Unterdrückung von Minderheiten innerhalb Chinas zu stellen und anzuerkennen, dass der Han-chinesische Diskurs auf einer imperialistischen Überlegenheitsideologie aufgebaut ist, die andere Minderheiten als minderwertig und unzivilisiert geringschätzt.
Diese Han-chinesische Überlegenheitsideologie macht sich natürlich auch in sino-geprägten Gesellschaften wie Taiwan bemerkbar, doch am Beispiel Taiwans zeigt sich, dass gezielte demokratische Inklusionsstrategien gegenüber der indigenen Bevölkerung und anderen Nicht-Han Minderheiten auch zu einer Überwindung dieser Tendenzen führen können.
Ich möchte mit einer Geschichte enden. Es ist das Jahr 2003. Ich bin 17, ich bin in Peking an der Deutschen Botschaftsschule, ich befinde mich in einer Identitätskrise. Ich habe eine unsägliche Wut auf den deutschen Rassismus an der Schule und in der deutschen Industrie. „Chinesinnen sind süße Miezen und Ayis, Chinesen sind Chauffeure, den dummen chinesischen Fabrikarbeitern muss mal beigebracht werden, wie das hier so richtig läuft, und alle Chinesen stinken sowieso“ – so höre ich es täglich in dieser erstickenden, selbstsicheren deutschen Expat-Bubble Anfang der 2000er.
Ich gründe einen chinesischen Literaturclub mit meinem Deutschlehrer Herrn Huber, dem einzigen Lehrer, der fließend Chinesisch liest. In dieser Zeit lese ich Heinrich Heine, Theodor W. Adorno, Paul Celan, Nelly Sachs, das heißt jüdisch-deutsche Schriftsteller, die von dem Fremdsein in der deutschen Kultur sprechen, von der Unmöglichkeit, jemals völlig dazuzugehören. Ich möchte sterben, ich möchte unsichtbar werden, ich möchte von Deutschland geliebt werden wie ein Kind, das nicht aufgibt.
Besuch bei Can Xue
Mit diesem Literaturclub besuchen wir 2003 die Schriftstellerin Can Xue in ihrer Wohnung. Sie ist wie ich in Changsha, Hunan, geboren, ich fühle sofort eine Verbindung zu ihr. Peking boomt intellektuell vor Neugierde und Ambiguität gegenüber sich selbst und dem Westen. Fundamentale Fragen zu Chinas Zukunft und Vergangenheit werden offen in Salons diskutiert; die erste Künstlergruppe bezieht das 798 Industriegelände; die musikalische, künstlerische, schriftstellerische Untergrundszene pulsiert. Liu Xiaobo ist noch am Leben.
Ich möchte von Deutschland geliebt werden wie ein Kind, das nicht aufgibt.
Liya Yu
Can Xues Mann macht uns Tee, sie liebt Katzen, sie mag keine Restaurants, deshalb sind wir dort. Wir sprechen über ihren Namen, Can Xue bedeutet getretener und verschmutzter Schnee, und die Kurzgeschichte, in der sie beschreibt, wie die Protagonistin nicht mal die Privatheit ihrer eigenen Schublade hat – das sind Metaphern für die menschliche Existenz während der Kulturrevolution. Danach sprechen sie und ich darüber, wie sehr Kafka sie beeinflusst hat, ich soll ihr bei einer Übersetzung eines Textes ins Deutsche helfen. In dem Text beschreibt sie, wie sie zum ersten Mal „Das Schloss“ liest.
Die 17-jährige verwirrte und verwundete Teenagerin in mir möchte bei ihr Zuflucht suchen, möchte eine Verbindung herstellen, in der meine chinesische Identität schamlos existieren darf. Doch meine Sehnsucht perlt an ihr ab, es gibt keine Identitätsöse oder -einkerbung, an der ich mich hätte festhalten können. Can Xue ist so eigen in ihrem Frausein, ihrem Chinesischsein, ihrer Wahrnehmung von Sprache und Realität, ihrer Art zu schreiben, dass ich keine andere Wahl habe, als ihr auch allein gegenüberzutreten.
Es ist dieser Zustand – in der politischen und literarischen Vision für mein eigenes Werk nenne ich es Gesamtkunstbefreiung – in dem man lernt, sich selbst zu humanisieren und sich bewusst wird, dass unsere Gehirne eine ständige Dehumanisierungsfähigkeit gegenüber anderen besitzen, den „Writing Chinese in Berlin“ oder besser „Writing as humans anywhere in our troubled and divided times“ anvisieren sollte.
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