
© picture alliance/dpa/Invision/AP/Jordan Strauss
Schuldspruch für Sean Combs: Das eigentliche Problem liegt viel tiefer
Dass Sean Combs in nur zwei Anklagepunkten schuldig gesprochen wurde, ist kein salomonisches Urteil. Die Musikbranche kann den Hip-Hop-Mogul damit als einen Einzelfall abstempeln.

Stand:
Auf dem Höhepunkt seiner Karriere in den späten 1990er Jahren gehörte das Selbstverständnis als „Bad Boy“ für den Rapper, Produzenten und Hip-Hop-Mogul Sean Combs zum Markenkern seines gleichnamigen Imperiums. Seit die kriminellen Machenschaften unter dem Banner des Unterhaltungskonzerns Bad Boy Entertainment auch die New Yorker Staatsanwaltschaft beschäftigen, hat sich der forsche Gründergeist des Entrepreneurs Sean Combs aka Puff Daddy aka Brother Love aka P. Diddy als sich selbst erfüllende Prophezeiung erwiesen.
Was in den zurückliegenden sieben Wochen an moralischen Abgründen, krimineller Energie und menschenverachtenden Taten in der Anklage gegen Combs am New Yorker Gericht zur Verhandlung kam, stellt selbst den wiederaufgenommenen Prozess gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein (sozusagen der „Patient Null“ der MeToo-Bewegung), der nahezu zeitgleich im selben Gerichtsgebäude abgehalten wurde, in den Schatten.
Wobei sich ein Vergleich dieser beiden Angeklagten – mit dem Urteil vom Mittwoch darf man jetzt auch von Tätern sprechen – natürlich verbietet. Eines haben die Fälle von Combs und Weinstein jedoch gemeinsam: Sie sind eine Bankrotterklärung für ihre jeweiligen Branchen, die Film- und Musikindustrie, die weggesehen, profitiert und schlimmstenfalls sogar partizipiert haben.

© REUTERS/JANE ROSENBERG
Schon die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft für die Anklage gegen Combs auf ein „Mafia“-Gesetz zurückgreifen musste, das 1970 eigentlich für die Bekämpfung organisierter Kriminalität erlassen worden war, zeigt, wie umfassend und kompliziert das Geflecht von Vergehen um den „Netzwerker“ Combs gewesen sein muss. Von diesem Anklagepunkt, der rechtlich von Beginn an auf tönernen Füßen stand, aber von fast dreißig Zeuginnen und Zeugen in anekdotischer Weise mehr als überzeugend und in erschütternder Weise auch detailliert dargelegt worden war, hat sich die zwölfköpfige Jury nicht überzeugen lassen.
Von Combs zu Sexpartys gezwungen
Durch den Freispruch in den drei schwerwiegendsten Vorwürfen – Bildung einer kriminellen Vereinigung und zwei Fälle von Sexhandel – ist Combs einer geforderten lebenslangen Haftstrafe entgangen. Die Juroren hatten es sich mit dem Urteil nicht leicht gemacht. Doch was von den fünf Anklagen bleibt – Zuführung zur Prostitution in zwei Fällen – macht immer noch sprachlos.
Die Jury erkannte an, dass Casandra „Cassie“ Ventura und die zweite (anonyme) Hauptzeugin Jane, die in jahrelangen missbräuchlichen Beziehungen mit Combs gelebt haben, zur Teilnahme an tagelangen Sexpartys gezwungen worden waren. Womit auch die Argumentation der Verteidigung abgeschmetterte wurde, dass es sich bei der Partizipation der beiden Frauen – in Anbetracht der hochgradig asymmetrischen Machtverhältnisse, denen in finanzieller als auch physischer Weise weiter Nachdruck verschafft wurde – um „freie Entscheidungen von mündigen Erwachsenen“ gehandelt haben soll.
Dass so manche Persönlichkeit aus der amerikanischen Unterhaltungsbranche das Ende des Prozesses mit stillschweigender Erleichterung beobachtet, hat jedoch nichts mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn zu tun. Denn was in den vergangenen sieben Wochen in New York verhandelt wurde – auch wenn es in diesem Anklagepunkt allenfalls zu einem moralischen Urteil gekommen wäre –, war die Frage, ob Sean Combs nun bloß ein „schwarzes Schaf“ ist oder eine symptomatische Figur für die Verhältnisse in der amerikanischen Musikindustrie.
Denn der Vorwurf des „Racketeering“, des organisierten Verbrechens, zielte auf das Imperium Bad Boy Entertainment ab, bei dem ganze Mitarbeiterkohorten für die Organisation der „Freak-offs“ und „Sex-Marathons“ mit Sexarbeiterinnen auf der Lohnliste standen (sowie für den einen oder anderen Brandanschlag). Und diese Partys gehörten zu begehrtesten in der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Wer sich auf diesen Partys herumtrieb, soll dank zahlreicher Überwachungskameras in Combs’ Anwesen bestens dokumentiert sein. Soweit ist es im Prozess aber nicht gekommen.
Auf der Anklagebank saß lediglich ein Mann mit ein paar schrägen sexuellen Vorlieben (Babyöl und körperliche Gewalt), wie es Combs Verteidiger sinngemäß ausdrückte. Nicht eine ganze Musikbranche, die – wenn sie sich unter ihresgleichen wähnt – schon mal ein Auge zudrückt. Oder gleich mitfeiert.
Die Problemfälle haben sich in den vergangenen Jahren gehäuft: Michael Jackson, R. Kelly, Steven Tyler, Marilyn Manson. Zuletzt wurde immer wieder mal die Hoffnung geäußert, dass mit dem öffentlichkeitswirksamen Prozess gegen Combs auch in der Musikindustrie endlich die MeToo-Ära angebrochen sei. Die Wahrheit ist aber wohl, dass das Bewusstsein in der Branche nicht sehr ausgeprägt ist. Daran wird auch das Urteil vom Mittwoch nichts ändern.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false