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Freie Schützinnen. Astrid Meyerfeldt und Katrin Wichmann schießen in die heiße Luft.

© imago / Martin Müller

Neues Pollesch-Stück in Berlin: Seminar und Boulevard

Uraufführung: René Polleschs „Black Maria“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters.

Wie bastelt man sich einen Pollesch- Abend? Man nehme eine Handvoll Schauspieler, die kompliziert verdrehte Texte locker rüberbringen, ein Filmthema und gute Popmusik und vor allem sehr viel gute Laune. Und dazu noch ein Set, das den Bühnenraum mehr oder weniger komplett definiert.

In diesem Fall hat Nina von Mechow lustig-bunte Kostüme entworfen und ein Haus auf Rollen, dessen Dach sich öffnen lässt – ein Nachbau des ersten Filmstudios, Black Maria genannt. Es wurde 1892 eröffnet und stand auf dem Gelände der Edison Manufacturing Company in New Jersey. Etliche Komödien und Dokumentarstückchen entstanden dort, auch ein „Faust“ und ein Nachdreh des Passionsspiels von Oberammergau.

René Pollesch schreibt und inszeniert ähnlich schnell wie die Pionierfilmer. Anschlussfehler sind dabei keine Panne, sondern gewollt. Darüber sinniert das Quintett hier mit großer Lust: Doch was genau Astrid Meyerfeldt, Katrin Wichmann, Franz Beil, Benjamin Lillie und Jeremy Mockridge in den DT-Kammerspielen treiben, entzieht sich jeder Logik. Sie reden in Rätseln, kämpfen mit Tür und Drehbühne, drehen einen Live-Film mit Riesenvideoprojektion, sind auch mal stummfilmdramatisch geschminkt oder stapfen fröhlich ins Bild wie Astrid Meyerfeldt zu Beginn – eine Freischützin mit Flinte überm Rücken, die Taschen voller Revolver.

Man stellt sich vor, wie Pollesch nachts durch die Kinogeschichte zappt und seine Fantasie zusätzlich auflädt mit Literatur, hier F. Scott Fitzgeralds „Knacks“. Eine harte, bittere Lektüre, wenn man sie ernst nimmt. Das kleine Buch beschreibt den psychischen Verfall eines Mannes, berichtet von irreparablen, aber nicht sogleich sichtbaren Schäden. Der „emotionale Bankrott“ führt zum Zusammenbruch: bei dem Alkoholiker Fitzgerald zum frühen Tod.

Routiniert und locker von der Bühne

Aber hier wollen sie nur unschuldig spielen, flockig theoretisieren über Medien und Medientheorie, Repräsentation und Rolle usw. Immer noch hört man aus Pollesch-Stücken seine Studienzeit am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen heraus. Auch bei den She-She-Pop-Performern schlagen die hessischen Seminare durch. Moritz Rinke, dessen neues Stück „Westend“ im Dezember am Deutschen Theater uraufgeführt wurde, hat ebenfalls in Gießen studiert, er geht aber andere Wege.

Polleschs „Black Maria“ dauert für seine Verhältnisse recht lang, eine Stunde und fünfzig Minuten. Darin liegt viel gespielte Aufregung und Leerlauf. Haben die Pollesch-Akteure früher schneller gesprochen oder geht er seine Sachen jetzt einfach entspannter an? Alles routiniert, gut einstudiert, widerstandslos.

Eine kleine Textprobe, aus dem Zusammenhang genommen, aber das tut weiter nichts. Denn der Zusammenhang ist ohnehin nicht so ganz klar: „Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit sind nie symmetrisch. Das Privileg liegt eindeutig bei der Unsichtbarkeit. Man müsste so unsichtbar sein wie die weißen Typen. Und wenn Sichtbarkeit was wert wäre, wäre ich wirklich dabei. Aber es geht eher darum: unsichtbar sein wie weiße Typen. Ja, und natürlich versteh ich auch, dass Sichtbarkeit sein muss, dass eine Haltung zugunsten des Sichtbarmachens in kritischer Absicht erfolgen muss, um für Gleichheit einzutreten, aber die dem ganzen zu Grunde liegende Asymmetrie bleibt leider bestehen.“

Das ist ein Text, der auf dem Papier Angst macht, aber von Astrid Meyerfeldt gesprochen herunterperlt, als sei’s ein Smalltalk in der U-Bahn. Die Beiläufigkeit des Sperrigen zählt zu Polleschs Qualitäten. Und so hölzern, wie sich diese Texte erst einmal ausnehmen, inszeniert er auch. Man weiß nie, ob die Schauspieler zu viel machen oder zu wenig. Jedenfalls wirken sie aufreizend privat, legen gern eine Zigarettenpause ein, bevor sie sich in die nächste Theorierunde stürzen. Stets passiert das einverständlich.

Bei René Pollesch ist das Theater immer Boulevard. Das liegt auch an der Vorhersehbarkeit des „Sichtbaren“. Die Drehbühne wird sich drehen, das Dach wird auf- und zugeklappt, die Tür zum Filmstudio öffnet und schließt sich. Doch wenn plötzlich der Abspann kommt zu dem Film, an dem sie hier werkeln – mit schöner Animation von Luis Krawen –, dann könnte es auch der Vorspann sein, es geht noch ein Weilchen weiter im geordneten Pollesch-Chaos. Konflikte gibt es nicht, man hat sich gern, pflegt Harmonie.

Die Fans lachen und freuen sich, auch das ein Zeichen des Boulevard. Die gute Laune springt über ins Publikum. Und falls jetzt doch jemand fragt, was das alles bedeutet? Vielleicht das: In einer Theaterwelt, die vorgibt, permanent Sinn und Kritik zu produzieren, bleibt Polleschs neues Stück „Black Maria“ wieder vollkommen sinnfrei und eine verlässliche Marke. Pollesch ist immer Pollesch, die Zutaten treten in den Hintergrund. Es geht um nichts, niemand kommt zu Schaden, und das Meiste ist schon wieder vergessen, wenn man den Mantel an der Garderobe abholt.

Nächste Vorstellungen am 9., 10., 15. und 16. Februar

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