Kultur: Shakespeare in brav
WETTBEWERB „Coriolanus“ – und Ralph Fiennes in Berlin
Es ist keine Theaterverfilmung – und ist doch nichts als Filmtheater. Eigentlich geht es um einen niedergeschlagenen Volksaufstand, eine Revolte im Inneren, und einen Angriff auf den Stadtstaat Rom von außen. Panzer fahren auf, Massen rebellieren gegen brutale, martialische Sicherheitskräfte, während die Armee offenbar in Außenbezirken bei blutigen Häuserkämpfen mit Maschinenpistolen, Sturmgewehren, Flammenwerfern zugange ist. Flackernde, flimmernde Bilder von Handkameras, dazu hämmernde Infernomusik, Häuser und Menschen explodieren auf den Straßen und auf den Fernsehschirmen. Das wirkt, als seien Bagdad und Kabul und in den Szenen mit den Massenprotesten auch schon Tunis und Kairo übereinander kopiert.
Man glaubt sich in der Gegenwart. Wenn da bloß nicht so ein hoher Ton aus allen Untiefen erklänge. Breaking news im Fernsehen, aber zu den modernen Kriegsbildern, zu den aktuellen Textlaufbändern reden die Nachrichtensprecher und Studiomoderatoren gestelzt, wie Deklamatoren. Da ruft der General im heutigen Battledress seinen zurückweichenden Soldaten zu: „You souls of geese...“ (im englischen O-Ton), „Ihr Gänseseelen in menschlicher Gestalt! Vor Sklaven rennt ihr fort, die Affen schlagen würden?“ Und feuert sie weiter an, fluchend bei „Hölle und Pluto!“
Das ist nicht Fisch, nicht Fleisch. Die Sprache ist zwar geborgt von Shakespeare, denn der Schauspieler Ralph Fiennes, der in London vor einigen Jahren den „Coriolanus“ auf der Bühne verkörpert und jetzt als Regisseur seinen ersten Film inszeniert hat, bleibt in seinem Kino-„Coriolanus“ ganz eng bei Shakespeare. Aber Shakespeare war schon viel weiter: Weil er in seinem Römer-Drama eine Welt der Macht und des mörderischen, selbstmörderischen Ehrgeizes ersonnen hat, die nicht an naturalistischen Requisiten und TV-Imitationen hängt. Shakespeares Sprache und Schauspieler im nackten Raum schaffen diese Welt.
Ralph Fiennes hat dagegen auf eine britische Bühnentradition gesetzt, die seit den siebziger Jahren glaubt, man sei schon einem zeitgenössischen Shakespeare auf der Spur, wenn man bei unverändert volltönendem Text die Figuren nur reichlich mit MPs, Mobilfunk und heutigen Medienkontakten versorgt. In Deutschland, wo die Texte weniger sakrosankt sind, bleibt’s dann wenigstens bei der Theaterei – ohne Kinokrämpfe.
Fiennes als sein eigener Hauptdarsteller verkörpert den volksverachtenden, jähzornigen und eitlen Kriegshelden, Aufrührer und Vaterlandsverräter Coriolan immerhin mit dramatischer Verve. Doch selbst bei ihm ist man von der Diskrepanz zwischen Gesprochenem und Gezeigtem ständig genervt. Vor allem die politischen Szenen an heutigen Drehorten in Belgrad und Dalmatien wirken mit ihren „Tribunen“, „Konsuln“ und „Senatoren“ sowie einigen „Volks“-Statisten erschreckend hölzern, staffagehaft, papierknisternd. Nur die Ballerei gibt sich vergleichsweise routiniert gekonnt. Gerard Butler als Gegenspieler Aufidius blickt vor allem bedeutungsvoll, ein MachoTschetnik. Allein die große Vanessa Redgrave hat als Coriolans Mutter am Ende einen richtig tollen Auftritt. Der Rest ist Schweigen. Peter von Becker
Heute 12 Uhr und 23 Uhr (Friedrichstadtpalast) und 20 Uhr (Urania); 20.2., 12.30 Uhr (Friedrichstadtpalast)
So viel Beifall, da kommt man schon mal durcheinander. Zum Beispiel Vanessa Redgrave am Montag bei der Pressekonferenz zu „Coriolanus“. Gerade stellt der Moderator die Stars vor, wie üblich erhält der Genannte auch von den anderen Applaus. Zuletzt ist sie selbst an der Reihe, doch da haben sich die Hände schon so an die Bewegung gewöhnt, dass sie plötzlich sich selbst kurz beklatscht, kurz nur, dann bemerkt sie ihr Versehen, lacht, fasst sich an den Kopf – kein weiterer Applaus von Vanessa für Redgrave.
Mit Shakespeares Sprache, erzählt sie später, habe sie schon deswegen kein Problem gehabt, da sie ihr von Kindheit an vertraut war, aus der alten King-James-Bibel, deren Übersetzung aus der Zeit des Dichters stamme. „Es ist schade, dass heute viele Menschen keinen Zugang mehr zu dieser Sprache haben“, beklagt sie. „Wunderbar, wenn ein Film diese Sprache wieder lebendig macht.“
Diesen Spaß verdankt sie Ralph Fiennes, der, wie er berichtet, eine regelrechte Obsession für die Shakespeare-Figur entwickelt habe, seit er sie vor zehn Jahren in London spielte: „Ich hatte schon immer das Gefühl, dass das Stück einen sehr guten modernen Film abgeben könnte.“ Erst sei er unsicher gewesen, in welchem Jahrhundert man den Stoff ansiedeln sollte, aber die Fernsehbilder und Nachrichten der vergangenen Jahre über Krisen und Kriege haben ihn überzeugt, die Gegenwart zu wählen, gleichen sie doch denen im Stück.
Die Kampfszenen mit Butler? „Ich brauchte als Gegner einen starken maskulinen Mann, den ich umarmen konnte“, sagt Fiennes, die darin mitschwingenden Konnotationen sind durchaus gewollt. „Das erotische Moment ist schon bei Shakespeare sichtbar.“ Coriolanus und Aufidius sieht er als Samurai – Kämpfernaturen, die sich unter der Oberfläche der Feindschaft gegenseitig anerkennen, bewundern. Gut möglich, dass er sich noch einmal an den Dichter wagt. Ein Lieblingsstück hätte er schon: „Antonius und Cleopatra“. Andreas Conrad