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Hochdramatisch. Die Sopranistin Asmik Grigorian in der Titelpartie von Richard Strauss’ „Salome“ bei den Salzburger Festspielen.

© Ruth Walz

Schau feiert Ruth Walz: Sie war das Auge der Schaubühne

Ruth Walz hat große Inszenierungen in Schauspiel wie Oper mit ihrer Kamera für die Ewigkeit festgehalten. Jetzt würdigt eine Berliner Ausstellung ihr Werk.

Diese Ausstellung ist viel mehr als nur eine Bilder-Sammlung. Sie ist im ganzen zweiten Stock des Berliner Museums für Fotografie auch eine fast überwältigende Inszenierung. Eine zwischen Blickfängen in emphatischer Größe und dann wieder hin zu den eindringlichen Details von Gebärden, Gesten, Räumen schier schwebende Schau: die Hommage an Ruth Walz, Deutschlands größte Theaterfotografin, die Anfang dieses Jahres ihren 80. Geburtstag gefeiert hat.

In Bremen ist sie geboren, doch seit ihren frühen Lehrjahren im Lette-Verein ist Ruth Walz zur Berlinerin und Theaterweltbürgerin geworden. Wer vor allem an die 1970/80er Jahre denkt, in der die von Regisseuren wie Peter Stein, Klaus Michael Grüber, Robert Wilson, Luc Bondy beflügelte Schaubühne am Halleschen Ufer und danach am Lehniner Platz zum ausstrahlendsten Theater seiner Zeit wurde, der erkennt oder erinnert diese Ära in den oft ikonischen Bild-Szenen von Ruth Walz. Die Fotokünstlerin war tatsächlich das Auge der Schaubühne.

Gleich beim Eingang des Museums geht man – wie auf einen quergespannten Theatervorhang – auf das Bild der Schauspielerin Edith Clever zu, die dem Betrachter entgegentritt. Clever als die fast sprichwörtlich gewordene Lotte-Kotte aus Remscheid-Lennep, jene bundesdeutsche Jederfrau und tragikomische Nomadin aus Botho Strauß' Stationendrama „Groß und klein“, mit Baskenmütze, Klappstuhl in der einen, einem tragbaren Fernseher in der anderen Hand.

Das war 1978 unter Peter Steins Regie eine jener Aufführungen, in denen die Schaubühne die gewohnten Bühnenräume verließ und damals in die Spandauer CCC-Filmstudios gegangen war.

Hernach wird man in der Ausstellung auch auf andere Welt-Räume stoßen, etwa bei Klaus Michael Grübers nächtlicher „Winterreise“ mit Hölderlin im Berliner Olympiastadion, wo das Ruinenportal des Anhalter Bahnhofs für die Flüchtigen und Nachtwanderer das Fußballtor auf der Seite der Hertha-Kurve ersetzt hatte. Wo im Dezember 1977 Hölderlins Verse über die im Frost „klirrenden Fahnen“ oder Zeilen aus der „Diotima“-Dichtung statt Toren und Spielständen als Leuchtschrift auf der riesigen Anzeigetafel erschienenen.

Man spürt das Mitatmen der Fotografin

Man sieht bei diesen Bildern nicht nur den rauchenden Atem der Akteure in der eisigen Berliner Winternacht, man spürt auch das Mitatmen der Fotografin. Denn Ruth Walz wollte immer von den ersten Proben an mit ihrer Kamera die teilnehmende Beobachterin einer Inszenierung sein. Diskret, doch jederzeit aufmerksam, um Zeugnis zu geben, was da gerade entsteht und einstmals gewesen sein wird. So hat sie auch die Gastspiele beispielsweise der „Orestie“ in Peter Steins Version von 1980 über viele Länder und Kontinente hinweg verfolgt. Oder Schauspieler, Bühnenkünstler und Bühnenarbeiter hinter und neben den Kulissen verewigt.

Später hat sie ihre Lieblingskünstler und Künstlerinnen dann nicht nur an der Schaubühne aufgesucht. Sondern ebenso auch bei den Salzburger Festspielen, in den Theatern und mittlerweile auch Opernhäusern von München, Wien oder Paris. Davon zeugen hinter dem Eingang linkerhand die raumhohen Foto-Bahnen, die wie Fahnen eine ganze Wand mit überlebensgroßen Ganzkörperporträts einiger Protagonisten schmücken.

Der alte Hans Michael Rehberg 2014 als Harold Pinters „Hausmeister“ in München, Bruno Ganz als Coriolan 1993 in Deborah Warners Shakespeare-Inszenierung in der Salzburger Felsenreitschule. Oder die expressiven Opern-Diven Silvie Valayre und Jessye Norman.

Apropos Bruno Ganz. Der vor zwei Jahren verstorbene Theater- und Filmschauspieler der Extraklasse war gut vierzig Jahre lang der Lebenspartner von Ruth Walz. Für ihn – dem auch das großartige Katalog-Buch im Berliner Hatje Cantz Verlag, ediert von Thomas Ladenburger und Hanns Zischler, gewidmet ist – hat die Ausstellung im Museum für Fotografie einen besonderen Raum.

Bruno Ganz war Peter Steins erster Protagonist, schon seit den Bremer Anfängen Ende der 60er Jahre, wo ihn die junge Bremerin Ruth Walz erstmals auf dem Theater sah. Bruno Ganz bezeichnet dann, in wechselnden Rollen von den Klassikern bis zu den Stücken von Botho Strauß, den Weg der Schaubühnen- Stein-Zeit. Er war zudem bei Klaus Michael Grüber der Hamlet im schwarzen Samt. Und auch seine Engelserscheinung als Damian in Wim Wenders Film „Der Himmel über Berlin“ erfährt hier durch Walz' Kameraauge ein wunderbares, zärtliches Memento.

Ein Bilderpanorama der Theaterneuzeit

Von Robert Wilson stammen auch drei schöne schwarzweiße Porträtskizzen von Bruno Ganz, die der Künstler nach Walz-Aufnahmen gezeichnet hat. In einem Nebenraum sind dazu drei kurze Filminterviews zu sehen, die Ruth Walz' Sohn Martin mit Wilson und den Regisseuren Peter Sellars und Pierre Audi geführt hat. Robert Wilson erzählt, wie er Probenbilder von Ruth Walz während legendären Inszenierungen wie „Death, Destruction & Detroit“ mit dem fabelhaften Otto Sander oft zur eigenen Vergewisserung studiert hat. Und nennt die Fotokünstlerin seine Verschwörerin. Eine Nahaufnahme mit dem Kamerablick von Ruth Walz, das sei „one moment frozen in time“.

In dieses Bilderpanorama der Theaterneuzeit, die jetzt auch eingefroren ist in ihrer vergangenen, nachwirkenden Geschichte, mischt sich einfallsreich noch ein Moment der Vorzeit. Denn die Halle im zweiten Stock des Berliner Fotomuseums ist der alte Kaisersaal des ehemaligen Landwehrkasinos – und hier spielte von 1921 bis 1934 das avantgardistische „Neue Theater am Zoo“. Es gab 800 Plätze, sein Gründer vor 100 Jahren war der aus Wien stammende Theaterimpresario Gustav Charlé, der an dieser Stelle den damaligen Tanzgott Rudolf von Laban auftreten ließ und 1942 vermutlich in Auschwitz ermordet wurde. Ein Kabinett zeigt jetzt als Ausstellung in der Ausstellung Bilder und Dokumente des „Neuen Theaters“, auch aus dem berühmten Fotoatelier Lotte Jacobi.

Ein Fund. Und so wird ein großer Bogen geschlagen, bis zur Kunst der noch immer aktiven, bald 81-jährigen Ruth Walz. An der Schlusswand ihrer Präsentation werden Vergrößerungen der Fotos einer Opernaufführung dann zum raumhohen, hallenbreiten Bühnenbild – und die Theaterfotografie für den Augenblick zum eigenen Theater.

Ruth Walz „Theaterfotografie“, bis 13. Februar 2022 im Museum für Fotografie, Jebensstraße 2 beim Bahnhof Zoo. Dienstag bis Sonntag 11 – 19 Uhr. Der im Verlag Hatje Cantz erschienene opulent illustrierte Großband „Theater im Sucher: Ruth Walz“ kostet 54 Euro.

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