zum Hauptinhalt
Auf Tahiti. Georg Forster (rechts) beim Zeichnen eines Vogels.

© akg-images

„Mobile Preußen“ von Ottmar Ette: Sieht so ein Preuße aus?

Amo, Forster, Kleist, Levin, die Humboldts: Auch sie lebten in einer Phase beschleunigter Globalisierung. Ottmar Ette legt verschüttete Traditionen frei.

Sieht so ein Preuße aus? Schon der Kopf auf dem Buchcover irritiert. Es zeigt einen lächelnden Mann im Profil, einen eindeutig schwarzen Mann, mit energischen Strichen gezeichnet – vermutlich ein Selbstbildnis Anton Wilhelm Amos, des ersten schwarzen Rechtswissenschaftlers und Philosophen an einer deutschen Universität.

Ein Afrikaner also repräsentiert bildlich jene „mobilen Preußen“, um die es in dem neuesten Buch des Potsdamer Romanisten Ottmar Ette geht. Auch der Buchtitel selbst ist schillernd, denn man kann ihn auf doppelte Weise lesen: Mobile Preußen, das sind zunächst einmal Menschen, die sich von Preußen weg, nach Preußen hin, gedanklich über Preußen hinaus bewegt haben – Menschen wie Heinrich von Kleist, der Südseereisende Georg Forster, die Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt, die Salonière Rahel Levin, der Schriftsteller, Botaniker und Weltreisende Adelbert von Chamisso oder eben der schwarze Philosoph Anton Wilhelm Amo.

Und gleichzeitig formen diese Menschen ein „Mobile Preußen“ mit Betonung auf der ersten Silbe, ein bewegliches Preußen, erlauben eine andere Sicht als die übliche, die Preußen vor allem als National-, Militär- oder auch Kulturstaat in den Blick nimmt.

Das Buch versammelt wissenschaftliche Aufsätze Ettes aus den letzten Jahren, die er im Kontext der Debatten um das Humboldt-Forum geschrieben hat, es sind Bausteine zu einer „Bewegungsgeschichte“. Denn darum ist es Ette stets zu tun: um das Prozesshafte und Dynamische, nicht um Sein und Wesen, um Identität oder ihre Varianten. Auch das Projekt zu Alexander von Humboldts Reisen, das Ette an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) leitet, folgt diesem Ansatz schon im Titel: „Wissenschaft aus der Bewegung“.

Amos Werk wurde aus der europäischen Geistesgeschichte getilgt

Nun also Preußen und seine Bewegungen, Beweglichkeit, Bewegtheit. Um sie offenzulegen, erzählt und reflektiert Ette Biografien, die für verschüttete Traditionen stehen. Gleich als Erstes die höchst erstaunliche Geschichte des Anton Wilhelm Amo, der um 1703 im heutigen Ghana geboren, von holländischen Sklavenhändlern nach Amsterdam und möglicherweise in die Karibik gebracht und schließlich dem Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel als „Geschenk“ überreicht wurde.

Der hochbegabte Junge erhielt an dessen Hof eine ausgezeichnete Ausbildung – vielleicht war er eine Art Versuchsobjekt, um die „Bildsamkeit der Afrikaner“ zu erproben – , so dass er sich im Juni 1727 an der damals preußischen Universität Halle immatrikulieren konnte und zum Abschluss seines Studiums eine auf Latein abgefasste Arbeit über die rechtliche Stellung der „Mohren“ in Europa schrieb.

Amos Gelehrsamkeit wurde gerühmt, er promovierte in Wittenberg über das Leib-Seele-Problem und unterrichtete Rechtswissenschaften und Philosophie an den Universitäten Halle und Jena. Doch hatte er auch mit Rassismus zu kämpfen und verließ Europa um 1746 in Richtung Westafrika.

Das Werk dieses „Philosophen ohne festen Wohnsitz“, das sich nicht auf eine einzige Zugehörigkeit oder Perspektive reduzieren lässt, wurde anschließend, so Ette, aus der europäischen Geistesgeschichte getilgt.

Ansichten jenseits des Nationalen

Das kann man von den anderen „mobilen Preußen“, über die Ette schreibt, nicht behaupten – die Biografien Heinrich von Kleists, Georg Forsters, Rahel Levins, Adelbert von Chamissos und der beiden Humboldts sind an vielen Stellen nachzulesen.

Doch Ettes bewegungsgeschichtlicher Blick, der stets die historischen „Phasen beschleunigter Globalisierung“ als Hintergrundfolie nimmt, stellt ihre Biografien und Schriften in neue Zusammenhänge. Es sind eben, wie der Untertitel sagt, „Ansichten jenseits des Nationalen“.

[Ottmar Ette: „Mobile Preußen. Ansichten jenseits des Nationalen.“ J.B. Metzler Verlag 2019, 222 Seiten, 39,99 Euro.]

In seiner Erzählung entsteht „ein Preußen der vielen Kulturen und Sprachen, der vielen Migrationen und Inklusionen, ein Preußen der vielen Herkünfte wie der vielen Zukünfte, von denen viele historisch nicht realisiert wurden und auch niemals mehr realisiert zu werden scheinen“.

Was Preußen hätte sein können

Der Salon der Rahel Levin zum Beispiel, wo sich kluge Köpfe über Standes- und Religionsgrenzen hinweg austauschten: Er zeigt, was Preußen hätte sein können und was es doch nicht wurde, „ein Preußen als Traum“. Rahel, die Meisterin der kleinen Formen, des Gesprächs, des Briefs, die im Mündlichen wie im Schriftlichen stets auf Dialog und Interaktion aus war, wollte Menschen miteinander verbinden, unterschiedliche Gruppen einschließen.

Doch was ihr in der Dachstube und auch in ihrem späteren „zweiten Salon“ als Rahel Varnhagen von Ense gelang, konnte sich auf gesellschaftlicher Ebene nicht durchsetzen. Da begab sich Preußen auf einen anderen Weg, den des Nationalismus, verbunden mit Antisemitismus und Standesprivilegien.

Den Blick auf die mobilen Preußen zu lenken, lohnt in vielfacher Weise. Sie sind es, die uns heute noch etwas sagen, zu denen wir, die wir wie sie in einer Phase beschleunigter Globalisierung leben, eine Beziehung entwickeln können. Bezogen aufs Humboldt Forum heißt das für Ette: Auch hier gilt es, die Kulturen als stets in Bewegung befindlich, aufeinander einwirkend zu sehen.

Das könne auch in einer Architektur gelingen, die eher an das klassische als an das mobile Preußen erinnert. Vielleicht tröstet der Gedanke ja den einen oder anderen, der an Stelle des Stadtschlosses lieber ein modernes Gebäude gesehen hätte: Wenn die verschütteten Traditionen, die möglichen Zukünfte, die mobilen Preußen das Bild (mit)bestimmen, dann, so Ette, „braucht uns vor Preußen und seinem Kulturbesitz nicht bange zu sein“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false