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Kultur: Sind so breite Lippen

Julia Roberts geht unter die Junglehrerinnen: „Mona Lisas Lächeln“ von Mike Newell

Das Lachen ist ihr Markenzeichen. Dieses breite, unwiderstehliche Lachen zum Beispiel, als Richard Gere dem „Pretty Woman“ den Deckel des Schmuckkästchens auf die Finger haut. Das glückliche Strahlen, mit dem sie in „Notting Hill“ Hugh Grants späte, aber nicht zu späte Werbung beantwortet. Und das freche Grinsen, mit dem sie als Erin Brockovich die honorig-spießige Anwaltswelt von Los Angeles aus den Angeln hebt. Nun jedoch soll sie lächeln wie Mona Lisa: geheimnisvoll, unnahbar, entrückt.

Das jedenfalls meint Bill Dunbar, der attraktive Italienisch-Lehrer des vornehmen Wellesley-Colleges. „Sie sind zu perfekt für diese Welt“, wirft er seiner neuen Kollegin vor, als sie nicht sofort auf seine Werbung eingeht, und vergleicht sie mit Mona Lisa. Dass sie zu perfekt sei, hat Julia Roberts immer wieder zu hören bekommen – perfekt schön mit ihrer rotbraunen Lockenmähne, dem sinnlich-breiten Mund und dem sensiblen Blick. Doch die Herzen hat sie erobert, weil sie nicht nur schön ist, sondern guter Kumpel, selbstbewusste Frau und schutzbedürftiges, scheues Wesen, immer von einem Hauch Schüchternheit umgeben. Eine Frau zum Verlieben und zum Träumen.

So gesehen, passt die Rolle der Katherine Watson perfekt in das Charakterschema. Die Kunsthistorikerin, die Anfang der 50er Jahre ihren ersten Job als Dozentin am Wellesley-College an der amerikanischen Ostküste antritt, muss schnell begreifen, dass ihre Schülerinnen längst nicht so emanzipiert sind, wie dies von studierenden Frauen zu erwarten wäre. Gleichzeitig ist sie, aus Kalifornien kommend, leicht eingeschüchtert durch die jahrhundertealte Tradition des Ostküstencolleges. Sie ist zwar selbstbewusst genug, ihren Freund Paul, der sie mit einem klassischen Ehekonzept zu locken versucht, in die Wüste zu schicken – doch schwach genug, dem Schwerenöter Bill zu verfallen, obwohl sie dessen Unbeständigkeit durchschaut. Und sie ist, kaum einige Jahre älter als ihre Schülerinnen, noch jung genug, deren Freiheits-Kampf als ihren eigenen zu kämpfen, mehr Freundin als Lehrerin zu sein. Kurz, sie schöpft den im Mainstream-Kino emanzipierten Frauen zugestandenen Rahmen aus: Sie ist selbstständig, aber nicht kämpferisch, selbstbewusst, aber im Kern doch die liebende, liebebedürftige Frau. Nicht bitter, aber bittersüß.

Das ist zu wenig. Und je heftiger sich Regisseur Mike Newell, seit „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ Spezialist für stilvolle, wortwitzige Komödien, Mühe gibt, die Handlungsstränge zu kleinen Dramen zu gestalten, desto deutlicher fällt auf, dass es im Herzen des Films zu ruhig bleibt. Denn gleichgültig, ob es um die Auseinandersetzung mit der biestigen Betty (Kirsten Dunst) geht, die als Vertreterin von Ehe und Konvention zu Katherines Gegenspielerin wird, oder um die stille Joan (Julia Stiles), die mit der Bewerbung für Harvard den Ausbruch wagt, gleichgültig, ob die lesbische Schulärztin Amanda (Juliet Stevenson) wegen zu fortschrittlicher Sexualmoral von der Schule verwiesen wird oder die Kollegin Nancy (Marcia Gay Harden) sich in ihre Wohlanständigkeit wie in einen Kokon verschanzt: Katherine Watson fängt kein Feuer. Sie kämpft, diskutiert, macht alles richtig und hat am Ende sogar den Mut, noch einmal von vorn zu beginnen. Nur passiert all das auf einer beängstigend mittleren Tonlage. Katherine Watson lebt nicht wirklich.

Vielleicht liegt es an der liebevollen Sorgfalt, mit der Mike Newell die 50er-Jahre-Welt nachgestaltet, mit Petticoats, Twinsets und Perlenketten, vielleicht auch daran, dass die Mittel der Emanzipation (Bildbeschreibungen vor einem Jackson Pollock statt bei Michelangelo, ein Drink an der Bar statt Benimmkursen daheim) zu nahe liegend sind: Es entsteht der Eindruck, dass hier jemand mit aller Kraft offene Türen einrennt. Todd Haynes hatte unlängst in „Dem Himmel so fern“ gezeigt, wie man aus einer vergangenen Filmepoche Funken für die Gegenwart schlägt, wie Themen, im malerisch-bunten Gewand der Fünfzigerjahre verhandelt, plötzlich bitter gegenwärtig werden können. Vielleicht liegt es daran, dass derRegisseur nicht mehr als anständige Mittelklasse verkörpert. Vielleicht liegt es auch daran, dass die fraglos liebenswürdige Julia Roberts nicht Julianne Moores Kälte besitzt. Als Pretty Woman hatte sie den ersten Schritt zur Emanzipation getan. Als leicht vulgäre Erin Brockovich war sie erwachsen geworden. Als Katherine Watson fällt sie, durchaus sympathisch, zurück in die Pubertät. Mona Lisa hätte besser laut gelacht.

In 30 Berliner Kinos; Originalfassung im

Cinemaxx Potsdamer Platz sowie im

Cinestar Sony Center

Christina Tilmann

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