US-Wahlkampf: Singen mit Obama
Vor dem Super-Tuesday: Musiker in Kalifornien holen die Sprüche ihres Lieblingskandidaten in ihre Lieder und Rapsongs.
Das Warfield Theatre in San Francisco war so etwas wie das zweite Zuhause des Jerry Garcia. Hier hat der Ober-Dead-Head unzählige Konzerte gespielt, und sein Geist – Garcia starb 1995 an Herzversagen – hängt noch heute in den Mauern des alten Vaudeville-Hauses ab. Die übervaterlosen Reste der Grateful Dead gehen seit Jahren getrennte Wege – bis gestern. Am Vorabend des „Super Tuesday“ stieg die Band nach langer Zeit zum ersten Mal wieder gemeinsam auf die Bühne – im Warfield Theatre, wo sonst. Amerikas wiederauferstandene Tote Hosen machen im theatre of war des Vorwahlkampfs Stimmung für Barack Obama. Ein Zeichen: Kalifornien ist der US-Bundesstaat mit den meisten Delegiertenstimmen, und alte Hippies gibt es an der Westküste noch reichlich.
Die Obama-Welle rollt. Auch Dylan hat sich jetzt geoutet. Nein, nicht Bob, der hält sich immer aus allem heraus. Sein Sohn Jesse Dylan, ein Filmemacher, stellte Ende letzter Woche das Video „Yes we can“ vor. Der Musiker Will.I.Am von den Black Eyed Peas führt einen Chor stimmgewaltiger Kollegen an, darunter Kate Walsh, Adam Rodriguez, Kelly Hu, Amber Valletta und auch Herbie Hancock. Sie berauschen sich an einer Obama-Rede aus New Hampshire, in der ihr Held amerikanische Kämpfertugenden beschwor. „Yes, we can heal this nation“. Das Video zeigt den Senator in Martin-Luther-King-Pose, die unterlegte Melodie erinnert an einen weichen Gospelgesang, der sich in Euphorie hineinsteigert. „I want change“, haucht Scarlett Johansson ins Mikrofon.
„Yes we can“– Obama, der Rapper. Wenn Präsidentschaftskandidaten als Projektionsfläche betrachtet werden, dann liegt der Senator aus Illinois weit vorn. Barack Obama muss es geschehen lassen, die „Yes we can“-People arbeiteten nicht in seinem Auftrag. Auf die Frage, welche Veränderungen sich Will.I.Am und Jesse Dylan von einem Präsidenten Obama erhoffen, antworteten die beiden: ein bessereres Gesundheits- und Erziehungssystem, einen stärkeren Dollar und das Ende des Irakkriegs. Thank you, Mr. Bush!
Das viereinhalb Minuten lange Schwarz-Weiß-Video erinnert an die All-Star-Versammlung „We are the world“, mit dem vor zwanzig Jahren Quincy Jones, Lionel Richie und Michael Jackson für Afrika-Hilfe warben. Es war der prominenteste Beweis, dass Musik und Musiker die Welt nicht verändern können. „Yes we can“ hat aber noch einen anderen, unbeabsichtigten Effekt. Man sieht und hört einen Prediger. Man sieht und hört, wie er Sätze und Wörter wiederholt, die plötzlich in Phrasenverdacht geraten. Und während die Grateful Dead ihre Instrumente stimmen und mehr und mehr Künstler Obama erwählen, hat sich ihr Mann bei einem Auftritt im Mittleren Westen für Jesus und freien Waffenbesitz ausgesprochen. Schließlich will er die Nation vereinen. Mit Hollywood und der Musikindustrie kann man Oscars und Grammys gewinnen, aber keine Wahl.
Rüdiger Schaper