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Das Cover der letzten Ausgabe von „Sinn und Form“ vor dem Urteil.

© Sinn und Form

„Sinn und Form“: Bärendienste in vergifteter Atmosphäre

Im Rechtsstreit zwischen „Lettre International“ und der von der Akademie der Künste herausgegebenen Literaturzeitschrift sind die Fronten verhärtet.

Ein Kommentar von Gregor Dotzauer

Stand:

Wer in der Klage, die „Lettre International“ gegen die Berliner Akademie der Künste angestrengt hat, Sieg und Niederlage davongetragen hat, ist nach dem Urteil des Landgerichts allenfalls juristisch entschieden – und das auch nur in erster Instanz. Die von der Akademie finanzierte Zeitschrift „Sinn und Form“ darf bis auf Weiteres aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht erscheinen. Abhilfe lässt sich frühestens im Mai durch eine Änderung der Akademie-Satzung bei der nächsten Mitgliederversammlung schaffen – und durch die Einführung einer gerichtlich aufgetragenen Gebührenordnung.

Moralisch sieht die Sache anders aus. „Sinn und Form“ wird von einer Woge öffentlicher Solidarität getragen. „Lettre“-Herausgeber Frank Berberich hat sich mit seiner Klage und seiner eifernden Rhetorik nur Feinde gemacht und der gesamten Landschaft verwandter Kultur- und Literaturzeitschriften einen Bärendienst erwiesen. Die friedliche Koexistenz frei finanzierter (wie „Lettre International“) und staatlich zumindest indirekt subventionierter Kulturpublikationen ist beiderseitig atmosphärisch vergiftet. So wirkt auch Berberichs legitimer, aus der Corona-Not geborener und abschlägig beschiedener Appell ans Bundeskulturministerium, „Lettre“ nicht als reines Presseerzeugnis zu betrachten, sondern als kulturelle Leistung zu fördern, wie diskreditiert.

Die von Lothar Müller moderierte Solidaritätsrunde, die sich am Mittwoch im Literaturhaus traf, tat sich allerdings auch unter der Maßgabe, kein „Reenactment“ des Streits aufführen zu wollen, keinen Gefallen damit, neben Chefredakteur Matthias Weichelt, dem Dichter Durs Grünbein und der Schweizer Publizistin Sieglinde Geisel nicht wenigstens eine Gegenstimme einzuladen. So sprang, obwohl schriftliche Fragen möglich gewesen wären, „Lettre“-Anwalt Hermann-Josef Omsels am Ende wie Kai aus der Kiste und kaperte die Diskussion so offensiv, dass er von der Mehrheit unsanft zum Schweigen gebracht wurde.

Immerhin hat der beteiligte Verfassungsrechtler Christoph Möllers ein Bewusstsein für die Breite des Problems. Im Auftrag des Bundesjustizministeriums verfasste er erst kürzlich ein Gutachten, mit dem er das staatlich finanzierte „Libra Rechtsbriefing“ zu Fall brachte. Zugleich zeigt seine HU-Lehrstuhlmitarbeiterin Luisa Celine Zimmer in einem brillant argumentierenden Essay auf verfassungsblog.de, wie absurd das Landgericht im Fall von „Sinn und Form“ urteilte. Die Tendenz zur Verrechtlichung aller Zusammenhänge, die Möllers beschrieb, kennt eben keine kulturellen Ausnahmen.

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