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Jürgens

© Britta Pedersen/dpa

Konzert: Sinn und Sirtaki

"Einfach ich" - Udo Jürgens startet in der O2-World seine Tournee.

Der schwarze Schimmel-Flügel steht mit seiner Längsseite an der Bühnenrampe wie eine parkende Luxuskarosse. Auf dem Deckel des Instruments legt Udo Jürgens im Laufe dieses sehr langen Konzertabends die Blumen ab, die er von seinen Fans entgegennimmt: Nach zweieinhalb Stunden türmt sich dort ein glitzernder Berg aus Cellophan. Die letzten Zugaben gibt der Sänger ohne Orchester und, das ist seit vierzig Jahren bei seinen Auftritten Tradition, im weißen Bademantel.

„Merci Chérie!“, ruft  jemand im Parkett, wo sich ein begeistert jubelnder, singender, tanzender Zuschauerklumpen gebildet hat. „Okay“, sagt Jürgens und spielt die ersten, samtig schwebenden Klavierakkorde seines Grand- Prix-Sieger-Chansons aus dem Jahr 1966. Es folgen die Kopf-hoch-Hymne „Immer wieder geht die Sonne auf“ und der Motown-infizierte Beatschlager „Siebzehn Jahr, blondes Haar“. Dann bedankt sich der Entertainer für den „unglaublichen Abend“. Triumph in Frottee.

Den gläsernen Flügel, sein mittlerweile legendäres Konzertmöbel aus Plexiglas, hat Udo Jürgens abgeschafft. Er thront momentan in einer Schlager-Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig. „Einfach ich“ heißt die Tournee, die der 74-jährige Sänger am Freitagabend vor 12 000 Zuschauern in der ausverkauften Berliner O2-World begonnen hat und die ihn bis zum Jahresende durch 60 Stationen im deutschsprachigen Raum führen wird. Er spielt einige alte Hits und halb vergessene Stücke, vor allem aber die Titel seines gleichnamigen Albums, das vor einem Jahr erschienen ist. Ein Beweis der Souveränität: Tingeln muss er noch lange nicht.

Das Konzert beginnt mit einer Ouvertüre des 16-köpfigen Pepe-Lienhard-Orchesters, ein weihevolles, etwas blechern klingendes Medley aus Klassikern von „Griechischer Wein“ bis „Aber bitte mit Sahne“. Anschließend blendet grelles Scheinwerferlicht das Publikum und dann – ein Kanichen aus-dem-Hut-Effekt – hockt Udo Jürgens am Flügel. Er singt: „Du kennst mich gut, kennst mich lang / Doch tief in dir drin fragst du dich immer noch, wer ich bin.“ Die Endkonsonanten schnalzt er rhythmisch scharf. Was bin ich, fragt die Klaviergeigenballade, die Antwort lautet: einfach ich.

Das Hemd des Sängers ist bis zum Kragen zugeknöpft, im Revers des schwarzen Seidenanzugs steckt ein rotes Taschentuch. Am Klavier sitzt er mit durchgedrücktem Rücken wie in einem AOK-Gesundheitsvideo. Seine Lieder und Zwischenmoderationen begleitet er mit längst vertrauten Gebärden: dem zackigen Abwinken der letzten Orchesterakkorde, den storchigen Bewegungen seines Ein-Mann-Sirtaki, dem halb genüsslichen, halb mürrischen Wegschlürfen des Lindenblütentees, von dem er sagt, dass er „schrecklich“ schmecke.

Als Udo Jürgens in den siebziger Jahren begann, sich mit seinen Schlagern in die Politik einzumischen, war das ein subversiver Akt. Mittlerweile klingen seine Kommentare zur Lage der Nation etwas zu kabarettistisch, und sein Trost wirkt wohlfeil. Er klagt über „Reichtum, der uns arm macht“, erwähnt die Lehman Brothers und versichert: „Der nächste Sommer kommt bestimmt.“ Weltbetrachtung, die sich in Gemeinplätzen verliert. Ganz tagesaktuell singt er: „Die Amis haben den Obama, denen wird es bald besser geh’n / Aber wir, wir haben die Ypsilanti, Gesine Schwan und Lafontaine.“

Gerettet wird der Abend von der Musik. „Narrenschiff“, einen Song aus dem Jahr 1986, zelebriert Udo Jürgens als Disco-Schlager-Hybrid, aufgetakelt mit Wah-Wah-Gitarre, Phillysound-Streichern und einem Cooljazz-Flügelhorn. Und „Du warst noch niemals in New York“, seine Alltagsballade über die Sehnsüchte jenseits von „Bohnerwachs und Spießigkeit“, weitet er zum viertelstündigen Miniatur-Musical, in das er noch „Downtown“, „Autumn in New York“ und „On Broadway“ einbaut. Mehr Sinatra geht nicht.

Am 21. 11., zum Ende der Tournee, gibt Jürgens noch ein Konzert in der O2-World.

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