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"Wintermärchen" in Potsdam: Sizilianisches Chaos nach Shakespeare

Shakespeares „Wintermärchen“ im Theater Potsdam feierte diese Woche Premiere. Die hauseigene Schauspieltruppe nimmt den roten Faden neu auf und beweist echten Ensemblegeist.

Es ist schon ein irres Stück, dieses „Wintermärchen“. Aus heiterem Himmel klagt Leontes, König von Sizilien, seine hochschwangere Gattin Hermione des Ehebruchs an, das Mädchen, das sie im Kerker gebiert, muss an der Küste Böhmens ausgesetzt werden. Dort wächst sie in der Obhut von Schäfern auf, wird vom Prinzen Florizel umworben, der mit ihr flieht, als sein Vater die unstandesgemäße Heirat verbietet. Sie landen auf der süditalienischen Insel, wo sich alsbald die königliche Herkunft des Hirtenmädchens herausstellt. Und auch die tot geglaubte Hermione erwacht zu neuem Leben. Ein Hybrid, der ebenso viele Spielarten der darstellenden Kunst in sich vereint, wie er Akte hat, nämlich fünf.

Ein Werk, das mit seinen dramaturgischen Brüchen geradezu zur Zertrümmerung herausfordert. Am Potsdamer Hans-Otto-Theater aber geht der inszenierende Intendant Tobias Wellemeyer genau den umgekehrten Weg. Er vertraut dem „Wintermärchen“ blind, der fantastischen Fabel wie auch der Übersetzung Peter Handkes. Der erste Akt beginnt als seriöses Trauerspiel. Matthias Müllers Bühne ist goldglänzend tapeziert, die Herren rauchen und tragen Smoking, die Stimmung ist nebulös wie die verqualmte Luft. Wie Wolfgang Voglers Leontes von Eifersuchtsattacken geschüttelt wird, wie die Männer seines Hofstaat erst feige kuschen, sich in der Not dann aber doch schützend vor Mutter und Neugeborenes stellen, das geht unter die Haut.

Wenn die Handlung dann aber ins Pathetische kippt, wenn Leontes in der Treuefrage das Orakel von Delphi anruft und ihm ebenso wenig glaubt wie einem heutigen DNA-Test, wird auch Wellemeyer opernhaft-plakativ, reißt die Bühne effektvoll auf, wallt Nebel. Anschließend geht es boulevardesk weiter, es gibt Quatsch-Comedy-Einlagen, die personifizierte Zeit girrt wie eine Singspiel-Soubrette, auf dem Autofriedhof steigt eine jointselige Balkanpop-Party, bevor die Story nach drei Stunden schließlich zwischen Blütenblätterregen und Kunstschneegeriesel in einem zuckersüßen Märchenfinale kulminiert. Bei jedem Genrewechsel wirkt es, als sein ein anderer Regisseur am Werk gewesen.

Die roten Fäden werden an diesem bunten Abend von den Mitgliedern der hauseigenen Truppe gelegt, von Michael Schrodts durch und durch noblem Camillo, von Raphael Rubinos rheinländischem Spitzbuben, von der ätherischen Patrizia Carlucci in der Doppelrolle als Mutter und Tochter. In Potsdam lässt sich genuines Stadttheater erleben, hier trifft man den so gern beschworenen Ensemblegeist wirklich, weil – auch aus der Beschränktheit der Mittel – sogar die Protagonisten die Nebenrollen auffüllen, sobald sie gerade als Hauptfiguren Pause haben. Und das berührt.

Wieder am 19./20. und 24. Januar sowie 15., 19., 23./24. Februar.

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