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Die Sex Pistols 1978 in London: Gitarrist Steve Jones, Bassist Sid Vicious, Sänger John Lydon und Schlagzeuger Paul Cook (v.l.).

© IMAGO

Sex Pistols: Autobiographie von John Lydon: Sorry, ich bin eine Rampensau!

John Lydon, Frontmann der legendären Sex Pistols, verkörperte den kläffenden Straßenköter des britischen Pop. Jetzt hat er seine Autobiographie geschrieben - Chronik eines zornigen alternden Mannes.

Punk war erst eine Mode und wurde dann eine Musik. Als Geburtsstätte einer der wichtigsten Kulturrevolutionen des 20. Jahrhunderts fungierte eine Boutique an der King’s Road im feinen Londoner Stadtteil Chelsea. Sie hieß „SEX“ und war von Malcolm McLaren und Vivianne Westwood gegründet worden. Im Angebot waren traditionelle Teddy-Boy-Outfits, bizarr gemusterte Kreppsohlenschuhe, Fetisch-Gummiklamotten und Masken, wie sie der „Cambridge Raptus“ trug, ein Serienvergewaltiger, der damals von der Polizei gejagt wurde. Wer so etwas anzog, wollte vor allem eins: der Welt demonstrieren, dass er anders war.

John Lydon entdeckte das Geschäft im Sommer 1975 und war begeistert: „Der Laden war so unverfroren und Anti-Establishment, ein Sammelbecken für alle möglichen unorthodoxen und faszinierenden Gestalten.“ Eine Zeit lang hat Lydon, der 19 Jahre alt war und gerade die Schule abgebrochen hatte, dort als Verkäufer gearbeitet. Dann sprach ihn eines Tages McLaren an, der als Manager der amerikanischen Proto-Punkband New York Dolls bereits erste Meriten im Musikbusiness gesammelt hatte. Er suche einen Sänger für eine etwas unkonventionelle Gruppe. Lydon war gleich beim ersten Probenbesuch angetan vom „ohrenbetäubenden Radau“ der Band und plädierte für „offensives Arschlochsein“. Dass er nicht singen konnte, war die beste Voraussetzung für den Beginn seiner Popkarriere.

John Lydon gab den kläffenden Straßenköter

Denn im Punk kommt es auf Könnerschaft nicht an. Aber auf Haltung. Ein Standpunkt, der vielleicht auch bloß Attitüde ist und den Lydon mit einer Aufforderung beschreibt: „Im Zerstören etwas Neues erschaffen.“ Die Band, die McLaren ganz groß rausbringen wollte, hieß, nach ihrem Leadgitarristen und ersten Frontmann Steve Jones, QT Jones and the Sex Pistols. Mit ihrem neuen Frontmann John Lydon, der sich fortan Johnny Rotten nannte, wurden die Sex Pistols weltberühmt und weltberüchtigt. Rotten, als Kind irischer Einwanderer im Londoner Arbeiterstadtteil Holloway aufgewachsen, stilisierte sich mit seinen zerrissenen Klamotten, der feindseligen Mimik und dem herausgespuckten Zorn seiner Songs zur Gegenfigur des bis dato üblichen Rock ’n’ Roll- Glamours. Er war Abschaum. Drei Jahre lang, so lange sollten die Sex Pistols existieren, verkörperte Rotten den kläffenden Straßenköter des britischen Pop. Sein Pseudonym steht für „verfault“ und „morsch“. Aber auch für „sich zusammenrotten“.

John Lydon ist jetzt 59 Jahre alt, doch der unheilige Zorn von damals hat ihn nicht verlassen. Er ist der Treibstoff seines Lebens. Wobei sich ein Großteil des Zorns noch immer gegen den einstigen Weggefährten Malcolm McLaren richtet, mit dem er sich auch mehrfach gerichtlich auseinandergesetzt hat. McLaren starb 2010, aber Lydon hat keinen Frieden mit ihm gemacht. „Er maßte sich an, alles besser zu wissen, und so darf man mir nicht kommen“, schimpft Lydon in seiner Autobiografie, die er gemeinsam mit dem Popjournalisten Andrew Perry geschrieben hat. Auf den mehr als 600 Seiten des mit „Anger Is An Energy“ treffend betitelten Buches ist McLaren immer wieder der Adressat von Flüchen und Verwünschungen.

Bassist Sic Vicious (l) und Sänger Johnny Rotten während eines Auftritts in Atlanta, 1978.
Bassist Sic Vicious (l) und Sänger Johnny Rotten während eines Auftritts in Atlanta, 1978.

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Wer hat die Sex Pistols erfunden?

Lydon kreidet ihm „lauwarme Haltung, ewiges Kneifen“ an, macht sich über „sein intellektuelles Blabla“ lustig, bezweifelt, dass er „je an Musik interessiert war“, beschreibt ihn als ignorant und raffgierig. Letztlich geht es um die Frage, wer die Sex Pistols erfunden hat: der umtriebige Manager oder der stets konfliktbereite Sänger. Aber auch die Modemacherin Vivienne Westwood, inzwischen zur Dame geadelt und ein Bestandteil des von Lydon weiterhin verachteten Establishments, bekommt ihr Fett weg. Sie sei eine „Kauffrau alter Schule vom Schlage einer Margaret Thatcher, absolut diktatorisch“. Ein schlimmeres Schimpfwort als „Thatcher“ existiert für den ewigen Linksradikalen nicht.

„Zum Thema Sex Pistols ist wohl genug gesagt worden, wenn auch meistens Halbwahrheiten“, konstatiert Lydon. Man spürt eine gewisse Gereiztheit, weil er immer wieder zu diesen drei Jahren seines Lebens befragt wird und kaum einmal zu den übrigen 56. Trotzdem erzählt er dann noch einmal die ganzen Anekdoten. Wie die Sex Pistols einmal ein Benefizkonzert im Hochsicherheitsgefängnis Chelmsford gaben, und ihm nachher einige der Insassen versicherten, er werde wohl bald wiederkommen, als Gefangener: „Wenn du so weitermachst, kann das nicht gut gehen!“ Wie sie zum Erscheinen der Skandalsingle „God Save The Queen“ mit einem Partydampfer über die Themse dümpelten, um das silberne Kronjubiläum der Königin zu stören, und von einem Polizeischiff attackiert wurden: „Schluss damit. Das ist unbritisch!“

Ein Herbergserlebnis in Berlin

Oder wie sie während einer Tour im Berliner Hotel Kempinski abstiegen und in Zimmern landeten, die „gnadenlos deutsch“ waren. „Du musstest dich kerzengerade schlafen legen, das gesamte Holz war dunkel und düster, und alles im rechten Winkel angeordnet.“ Das Herbergserlebnis und ein Besuch an der Mauer inspirierten Lydon zum Text für die Anti-Urlaubs-Hymne „Holidays In The Sun“ mit den Zeilen „I don’t want a holiday in the sun / I Want to go to the new Belsen.“ „New Belsen“ meint Berlin und das Konzentrationslager Bergen-Belsen.

"Tja, sorry, ich bin eine Rampensau."

Das Ende der Sex Pistols kam, als Lydon im Januar 1978 nach einer chaotischen Amerikatournee aus der Band ausstieg. Zu diesem Zeitpunkt sprachen McLaren und Lydon kein Wort mehr miteinander, es hatte endlosen Streit um Geld, Zukunftspläne und die Arbeiten für das Album und den Film „The Great Rock ’n’ Roll Swindle“ gegeben. Und weil John Lydon und Bassist Sid Vicious wegen Drogendelikten vorbestraft waren, war es schwierig geworden, Visa für Auslandsauftritte zu bekommen. Wenn es noch eines Beweises für die Gültigkeit der Parole „No Future“ gebraucht hätte, die die Sex Pistols mit ihrem Gassenhauer „God Save The Queen“ geprägt hatten – hier war er. Die anderen Bandmitglieder flogen nach Brasilien, um mit dem untergetauchten Bankräuber Ronald Biggs das Stück „No One Is Innocent“ aufzunehmen. Lydon kehrte zurück nach London und gründete die neue Band Public Image Ltd., abgekürzt PiL.

Das Schlüsselereignis in Lydons Leben ist eine Meningitis-Erkrankung, an der er mit 8 Jahren beinahe gestorben wäre. Er lag ein halbes Jahr im Koma, und als er wieder aufwachte, wusste er nicht mehr, wer er war. Zurück blieben eine gekrümmte Wirbelsäule und ein eingeschränktes Sehvermögen. Das Gefühl, ein Außenseiter zu sein. Und Angst. Bis heute. Die Angst „entweder nicht mehr aufzuwachen oder aufzuwachen und wieder nicht zu wissen, wer ich war.“ Allerdings gab es in dem Krankenhaus, in dem er behandelt wurde, auch eine Bücherecke. Dort begann Lydon das Lesen zu lieben. „Ich habe nicht viel Fantasie im Kopf. Mir fehlt der Platz dafür“, sagt er. Aus der Zeit seiner Erkrankung rührt auch ein Arbeitsethos, das ihn zu immer neuen Projekten treibt. „Je mehr du dich anstrengst, desto mehr bringt es. Das ist meine Erfahrung, und harte Arbeit macht mir absolut nichts aus.“

Lydon beteuert, nie ein Anarchist gewesen zu sein

„I am an antichrist / And I am an anarchist“, hat John Lydon ziemlich überzeugend gesungen. Besser gesagt: gefaucht. Heute beteuert er, niemals ein Anarchist gewesen zu sein. Eine Begründung dafür liefert er nicht, erklärt nur, dass die Anarchisten, die er traf, zu akademisch und lebensfern gewesen seien. Lydon erzählt sprunghaft und assoziativ, mitunter auch redundant. Die ersten 250 Seiten seines Buches sind eine höchst unterhaltsame Lektüre. Danach wird es zäh. Dass Lydon bis heute als Buhmann – Antichrist – abgestempelt ist: ein Missverständnis. „Tief drinnen erwartete ich, als das eigentliche Opfer erkannt und mit Mitgefühl, Liebe und Glück überschüttet zu werden“.

PiL ist musikalisch die wesentlich bessere Band als die Sex Pistols, erreichte aber trotz des Smash-Hits „This Is Not a Love Song“ niemals denselben Erfolg. Wahrscheinlich ist das die Tragik dieser schillernden, mitunter auch schmierentheaterhaften Biografie. Zuletzt hat Lydon Schlagzeilen mit seiner Teilnahme an der britischen Ausgabe der Dokusoap „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ gemacht und in einer Tourneeversion des Musicals „Jesus Christ Superstar“ den Bösewicht verkörpert, König Herodes. Im September erscheint das neue PiL-Album „What the World Needs Now“. „Tja, sorry, ich bin eine Rampensau“, formuliert Lydon sein Credo. „Ich mag den Rummel, ich mag das Chaos, ich leg mich gerne mit der breiten Masse an.“

John Lydon mit Andrew Perry: Anger Is An Energy. Mein Leben unzensiert, Heyne Hardcore, München 2015, 656 S., 24,99 €.

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