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In der Fondation Cartier: Die Plastik „A Girl“ von Ron Mueck aus dem Jahr 2006

© Fondation Cartier / National Gallery of Canada

Spiel mit mir: Ron Mueck in der Pariser Fondation Cartier

Als einer der britischen „Sensations“-Künstler ist Mueck bekannt geworden. Inzwischen arbeitet er sich weit stiller an Themen wie Leben und Tod ab.

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Es muss mit dem Vater zu tun haben. Ron Mueck kommt aus einer Familie, die früher ihr Geld mit der Anfertigung von Spielzeug verdiente. Und obwohl er selbst inzwischen Mitte sechzig ist, lässt ihn der spielerische Umgang mit der Realität nicht los.

Dennoch sind die Arbeiten des gebürtigen Australiers, der als einer der „Sensations“-Künstler des Sammlers und Galeristen Charles Saatchi seine Karriere begann, nichts für Kinder. Sie kommen zwar vor, aber es ist nicht garantiert, dass sie etwa an Muecks Hundefiguren Gefallen finden – und nicht vor Schreck umfallen.

Muecks Höllenhunde

Denn die Tiere sind weder plüschig noch liebenswert. Eher sehen sie aus, als hätte ein Krimineller drei Dobermänner auf Angriff trainiert. Das Trio steht im Tiefgeschoss der Pariser Fondation Cartier, die dem Künstler eine umfassende Soloschau widmet. Hier unten ist es dunkel, die schwarzen Hunde schälen sich nur langsam aus dem Dämmer. Das Unwohlsein, mit dem man sich ihnen nähert, ist programmiert: Mueck hat sie so sorgfältig geformt und raffiniert aufgestellt, dass sie unweigerlich zu Höllenhunden werden.

Ein begnadeter Bildhauer

Unweit davon hängt, klitzeklein, ein Neugeborenes an der Wand. „Baby“ aus dem Jahr 2000 misst 26 Zentimeter, erinnert sofort an einen gekreuzigten Christus und demonstriert im Dialog mit der Hundeskulptur die Qualitäten des Künstlers. Dass Saatchi den einstigen Marionettenspieler und Inhaber einer Werbeagentur zu weiteren plastischen Figuren animierte, nachdem er 1996 eine Auftragsarbeit für die Künstlerin Paula Rego sah, hat seinen Grund: Mueck ist ein begnadeter Bildhauer, seine perfekten Oberflächen sind bloß Tarnung und führen direkt ins Innerste der Figuren. Es geht um Ängste, Abgründe und Existenz.

Mit „Dead Dad“, einer Darstellung des toten Vaters, fiel er in Saatchis legendärer Ausstellung von „Young British Arists“ zusammen mit Damien Hirst und Tracey Emin auf. Bis hin zu den Schamhaaren zeigte Mueck alles minutiös, bloß die Reduktion der Gestalt auf einen guten Meter machte den Mann gnadenlos bedürftig. Selbst in seinem Zustand.

Auch darauf versteht sich der Künstler. Den Hyperrealismus seiner Figuren kontrastiert er mit varibalen Größenzuordnungen. Auf diese Weise entkommt Mueck der reinen Abbildhaftigkeit und übersteigert zugleich die Realität. „A Girl“, der Titel seiner Plastik im ebenerdigen Geschoss, klingt so harmlos. Steht man aber vor dem fünf Meter langen Riesenbaby, überwältigt einen Muecks Interesse am Beginn des Lebens.

Der Saal voller Schädel

Er kennt sich aus mit den Themen Geburt, Leben und Tod. Für „Mass“, die wirklich allergrößte Arbeit in der Ausstellung, stapelt er Schädel wie Fußbälle in einem Turnhallenschrank. Die weißen, anatomisch perfekten Köpfe sind allerdings jeder für sich schon menschengroß. Zusammen füllen sie die gläserne Halle des Ausstellungshauses. Hirsts aus Platin gefertigter und mit Diamanten besetzter Schädel „For the Love of God“ mag die teuerste Skulptur eines lebenden Künstlers sein: Mueck fegt sie mit seiner Riesenpyramide einfach fort und schafft ein Memento mori von geradezu monströsen Ausmaßen.

Ein wenig sehnt man sich anschließend nach seinem „Man in a Boat“, der vor gut zwanzig Jahren entstanden ist. Auch er schippert im Untergeschoss ohne Ruder weiter vor sich hin – als etwas zu kleine Gestalt mit skeptisch vorgerecktem Kopf. Nackt ist auch er, und es fällt nicht schwer, ihn als Reisenden in das Totenreich zu lesen. Die Ausstellung, die elementare Arbeiten von Mueck zusammenbringt, ermöglicht einem schließlich auch die Einsicht, dass Monumentales nicht unbedingt der bessere Botschafter ist.

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