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Tristesse am Mehringplatz

© Ludger Paffrath

Stadtreparatur in Berlin-Kreuzberg: Lob des Trampelpfads

In der Mitte des frisch sanierten Mehringplatzes ist eine Wiese vorgesehen. Doch die Leute haben sich anders entscheiden: Sie gehen nicht außen herum, sondern direkt durch die Mitte. Gut so.

Ein Kommentar von Udo Badelt

Einen hoffnungsloseren Fall als den Mehringplatz gibt es im Berliner Zentrum wahrscheinlich nicht. Immerhin, nach endloser Umbauphase ist die kreisrunde, in ihrem Ursprung barocke Fläche jetzt endlich von Bauzäunen befreit, eine frische, grüne Wiese breitet sich aus.

Doch ach, die Planer und Planerinnen haben das Gras so gesät, dass eine radiale Überquerung in der Flucht der Friedrichstraße verwehrt ist. Man muss links oder rechts um den Kreisel herum, die Gründe sind nicht ganz klar. Es geht irgendwie darum, Passanten zum Besuch der spärlichen Ladengeschäfte am Rand zu zwingen.  

Der Drang von Nord nach Süd

Und jetzt das! Die Leute zeigen dem Planerwillen die kalte Schulter und nehmen einfach den direkten Weg, über die Wiese. Mit anderen Worten: Auf dem Mehringplatz ist doch tatsächlich ein neuer Trampelpfad entstanden. Hunderte, tausende Füße bekräftigen damit stillschweigend die Wahrheit eines simplen städtebaulichen Fakts: Die Friedrichstraße und der damals noch „Rondell“ benannte Platz wurden im 18. Jahrhundert angelegt, um eine Nord-Süd-Verbindung zu schaffen.  

Trampelpfade sind was Wunderbares. Weil sie so viel gesunden Menschenverstand, Ehrlichkeit, Instinkt und Intuition in sich vereinen und damit jede noch so gut gemeinte Stadtplanung als verkopft entlarven. Weil sie Wege da entstehen lassen, wo es am natürlichsten ist. Wie viele Autobahnen in den Alpen gehen nicht zurück auf Trampelpfade, die seit der Römer- oder Keltenzeit begangen werden?  

Luftaufnahmen von Trampelpfaden sind faszinierend, sie gleichen abstrakten Kunstwerken und sind doch genau das Gegenteil davon: Ausdruck einer nüchternen, pragmatischen Abwägung von Aufwand und Ziel. In einem Menschen, der als erster einen Trampelpfad geht, fließen Gegenwart und archaische Vorzeit ineinander, in ihm ist immer noch das Gespür unserer Vorfahren lebendig, die einst die Savanne verlassen haben. 


Vielleicht gibt es also doch Hoffnung, dass sich am Mehringplatz und auch am benachbarten Halleschen Tor die historische Nord-Süd-Logik wieder durchsetzt. Denn es handelt sich hierbei, nun ja, um ein Tor, immer noch, und das bedeutet: Menschen wollen an dieser Stelle aus der Innenstadt heraus oder in sie hinein. Doch die Verkehrsführung trägt dem nicht Rechnung, die wurde nach Teilung und Mauerbau auf eine Ost-West-Logik umgezwungen – und so ist es bis heute geblieben.  

Vierspurig braust der Verkehr vorbei, den Landwehrkanal in seine Mitte zwängend. Fußgänger und Radfahrer, die rüber wollen, sind trotz Ampelschaltung allenfalls geduldet, mehr nicht. Dabei ist der Querungsbedarf an dieser Stelle enorm, das kann man jeden Tag beobachten. Schade, dass sich auf Asphalt keine Trampelpfade bilden können. 

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