zum Hauptinhalt

Kultur: Streiten Sie doch!

Den folgenden Offenen Brief haben neben anderen unterschrieben: Ivan Nagel, Nele Hertling, Reinhard Hauff, Thomas Langhoff, Ulrich Eckhardt, Jürgen Schitthelm, Albert Kost, Sabine Weißler, H.-G.

Den folgenden Offenen Brief haben neben anderen unterschrieben: Ivan Nagel, Nele Hertling, Reinhard Hauff, Thomas Langhoff, Ulrich Eckhardt, Jürgen Schitthelm, Albert Kost, Sabine Weißler, H.-G. Knopp, Herbert Wiesner, Georg Quander, Irene Moessinger.

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, sehr geehrter Herr Senator

die Wahl und Bestätigung des neuen Senats ist überstanden. Wir reihen uns ein in den Kreis der Gratulanten und wünschen Ihnen Erfolg. Was die Kultur in Berlin betrifft, ist der Start allerdings mit einem schlechten Omen behaftet: mangelnder Glaubwürdigkeit. Die Richtung, die die neue Landesregierung vorgibt, ist eindeutig. Und sie deckt sich nicht mit den wortreichen kulturpolitischen Treueschwüren in Zeiten des Wahlkampfes.

Als letztes Kapitel im rot-roten Koalitionsvertrag wird das Thema Kultur abgehandelt. Dabei wird im letzten Satz Ihres Programms, nach schon beschlossener Schließung des Theaters des Westens, eine weitere, nicht definierte, strukturelle Einsparung von zusätzlich 8 Millionen Euro angekündigt. Damit sinkt im Land Berlin der Anteil der Aufwendungen für Kultur noch tiefer: auf ein kümmerliches Niveau von 1,9 Prozent des Gesamthaushalts.

Im bundesdeutschen Vergleich bewegt sich Berlin, immerhin die Hauptstadt der Bundesrepublik, mit diesem nochmals reduzierten Kulturetat auf niedrigstem Niveau.

Tatsächlich aber ist die Lage schlimmer. Ihre Koalitionsvereinbarung ignoriert die seit Jahren angehäufte Deckungslücke, die die Senatsverwaltung für Kultur im Jahr 2002 mit 40 Millionen Euro beziffert.

Die angesprochenen Kürzungen des Kulturhaushalts und die damit verbundenen Widersprüche sind überdeutliche Hinweise, dass auch die neue Landesregierung nicht die Kraft aufbringt, sich zu ihrer Stadt als einer Kulturmetropole zu bekennen, was hieße, die damit verbundenen Kosten sach- und realitätsgerecht zu kalkulieren und öffentlich zu vertreten. Aber es fehlt ihr auch der Mut, offen zuzugeben, dass der Erhalt der Kulturlandschaft angesichts der finanziellen Not als nicht mehr realistisch angesehen wird.

Es scheint, dass unter der rot-roten Regierung an die antikulturelle Attitüde der alten CDU / SPD-Koalition und ihre finanziell unseriöse Kulturpolitik angeknüpft wird.

Dieses unwürdige Jonglieren lähmt, blockiert, macht mutlos, müde, lustlos. Es vermittelt kein Gefühl des Aufbruchs, der offenen, ehrlichen Auseinandersetzung, des klaren Interesses an einer zukunftsweisenden Entwicklung für die Kultureinrichtungen und die freie Kulturszene in der Stadt.

Wir fragen: Wie wollen Sie, Herr Senator, der fünfte in nur drei Jahren, die Quadratur des Kreises zur Konsolidierung Ihres Etats lösen? Bei einer Deckungslücke für 2002 von 40 Millionen Euro und einer weiteren Kürzung um 8 Millionen Euro wollen Sie keine Oper und kein großes Theater schließen? Ja, Sie wollen sogar den bedürftigen Häusern die dringend notwendigen baulichen und technischen Investitionen mit Millionen finanzieren und darüber hinaus die Gedenkstättenarbeit ebenso fördern wie das Dokumentationszentrum Berliner Mauer? Die freie Szene, die Kinder- und Jugendkultur und die bezirkliche Kulturarbeit wollen Sie ebenso stärken wie die interkulturelle Arbeit und den internationalen Kulturaustausch?

Das alles hören wir gern. Aber soll man das alles mit den Minusbeträgen eines neu zusammengestrichenen Kulturhaushalts und einer weitergeschleppten alten Deckungslücke bezahlen?

Die Vorbelastung, die Sie zur Erbschaft als Kultursenator bekommen, ist einzigartig. Peter Radunski unterschrieb nicht seinen Etat für 2000, trennte sich von Amt und Würden, weil er die Probleme nicht länger aussitzen konnte. Christa Thoben riskierte ihren Ruf und den Bruch ihrer politischen Karriere, weil sie als finanzpolitische Expertin den offenkundigen Widerspruch zwischen den beiden an Sie gerichteten Erwartungen - der Kürzung des Kulturetats und einer auskömmlichen Finanzierung der vorhandenen institutionellen Kultur (damit verbunden dem Verzicht auf Schließungen und betriebsbedingte Kündigungen) - für unvereinbar erkannte. Senator Stölzl bemühte sich, in bekannt munterer Manier Lösungen zu präsentieren, und sprang jedes Mal zu kurz. Die Übergangssenatorin Adrienne Goehler bewies Mut zur Konsequenz mit der Schließung von drei prominenten Theatern. Wie immer man zu dieser Entscheidung stehen mag: Sie wollte nicht nur finanzielle, sondern auch künstlerische Spielräume gewinnen und erhielt ihre Entlassung im zeitlichen Zusammenhang mit der gegen ihr Votum getroffenen Entscheidung zu weiteren Kürzungen des Kulturetats. Und aus dieser Geschichte hat die neue Landesregierung nichts gelernt?

Streiten Sie doch, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, mit den Tarifpartnern über Arbeitszeit und andere praxisfremde Regulierungen der Kulturarbeit, die die Kunst blockieren. Aber Sie werden niemand glauben machen, dass Sie als Vertreter einer kleinen Landesregierung in absehbarer Zeit eine tarifpolitische Wende - eine Wende, die die Kulturproduktion von den tariflichen Regeln und den Einkommensentwicklungen in allen anderen Wirtschaftszweigen abkoppeln soll - durchsetzen werden und darüber relevante Einsparungen erzielen können.

Verhandeln Sie doch weiter mit der Bundesregierung über noch mehr Bundesmittel für die Hauptstadtkultur zu Ihrer Entlastung - damit sich die Landesregierung noch weiter davonstehlen kann aus ihrer Verantwortung für die Kultur dieser Stadt. Der Etat von Staatsminister Nida-Rümelin ist zu mager, um Berlins Haushaltslöcher zu stopfen.

Fassen wir die Situation zusammen. Was im neuen Koalitionsvertrag geschrieben steht, hilft der Berliner Kultur nicht aus ihrer lebensbedrohlichen Krise. Wir bitten Sie und fordern Sie auf: Stellen Sie sich einer offenen Diskussion, bevor Sie einsame Entscheidungen treffen. Es ist Zeit für den offenen Wettstreit um radikale Ideen.

Der Rat für die Künste in Berlin hat dafür einen Vorschlag: Wir fordern Sie auf, gleich zu Beginn Ihrer Regierungszeit ein klar strukturiertes, ergebnisorientiertes Diskussions- und Planungsforum für die Berliner Kultur einzuberufen. Die Arbeit des Stadtforums in Berlin unmittelbar nach der Vereinigung könnte als Modell dienen.

Das FORUM KULTUR soll Umrisse einer neuen Berliner Kulturpolitik und Kulturförderung erarbeiten. Jenseits von Sparten- und Verwaltungsdenken und frei von finanziellen Vorgaben sollen Themen erörtert und Lösungsvorschläge diskutiert und erarbeitet werden, die als Grundlage für Entscheidungen dienen können. Hergestellt werden soll eine Allianz des Sachverstandes zwischen Akteuren der Kultur, Politikern und Spezialisten, Vertretern der kulturell interessierten Öffentlichkeit und Verwaltungsfachleuten. Zu den Teilnehmern sollen auch Sachverständige von außerhalb Berlins und der Bundesrepublik gehören.

Themenvorschläge sind: Das Verhältnis von Bund und Land in der kulturellen Zukunft der Bundeshauptstadt Berlin; neue Strukturen und Steuerungsmodelle der Kulturförderung und -finanzierung; Flexibilisierung ("Synergie") des Arbeitskräftepotentials im Kulturbereich; neue Perspektiven der internationalen Kulturarbeit und des Kulturaustauschs in Berlin; Perspektiven lokaler Kulturwirtschaft, Kulturansiedlung und Stadtentwicklung; der Stellenwert der Kultur bei der geplanten Ländervereinigung Berlin-Brandenburg.

Getragen werden soll das FORUM KULTUR von der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur, vom Rat für die Künste in Berlin, von der Akademie der Künste, den Freundeskreisen Berliner Kultureinrichtungen und der Kulturwirtschaft.

Es ist Zeit, die unfruchtbaren Grabenkämpfe, im Dreieck zwischen Senat, Abgeordnetenhaus und Kulturmachern zu beenden. Bürsten Sie den Koalitionsvertrag gegen den Strich. Verschaffen Sie durch die Einberufung einer verbindlich konzipierten Diskussions- und Planungsgruppe endlich den akuten Problemen der Berliner Kultur einen der oberen Plätze in der Rangliste der Aufgaben Ihrer Regierung.

Nun ist es an Ihnen, sich zu dem im Koalitionsvertrag angebotenen kooperativen, beratungsoffenen Politikstil zu bekennen. Es ist an Ihnen, vor allen Kürzungen und anderen unumkehrbaren Entscheidungen, sich im Vertrauen auf die Kompetenzen einer engagierten Kulturszene auf einen gegenseitigen Lern- und Entscheidungsprozess einzulassen. Ihrer Antwort sehen wir gespannt entgegen.

Den folgenden Offenen Brief haben neben anderen un

Zur Startseite