
© dpa/Britta Pedersen
Studie zu Musikfestivals in Deutschland: Große Vielfalt und wackelige Finanzen
Zum ersten Mal liegen repräsentative genreübergreifende Daten über deutsche Musikfestivals vor. Sie zeichnen das Bild einer vielfältigen Landschaft, in der unkommerzielle Events dominieren.
Stand:
Als im vergangenen Jahr mit dem Melt eines der bekanntesten deutschen Popfestivals eingestellt wurde und zudem eine Reihe kleinerer Events aufgeben musste, machte schnell die Rede vom Festivalsterben die Runde. Doch stimmt das wirklich, geht die deutsche Festivallandschaft vor die Hunde? Eher nicht, könnte man nach Lektüre der ersten repräsentativen Studie zum Thema antworten, die jetzt unter dem Titel „Musikfestivals in Deutschland. Vielfalt, Strukturen und Herausforderungen“ in Berlin vorgestellt wurde.
Die Mehrheit der Festivalbetreiber ist zuversichtlich
In Auftrag gegeben von der Initiative Musik, der Bundesstiftung Livekultur und dem Deutschen Musikinformationszentrums wurden die 1764 deutschen Festivals angeschrieben, 638 beteiligten sich an der Studie, die mit einer Mischung aus qualitativen und quantitativen Mitteln arbeitet. Nur ein Prozent der Festivals gaben an, dass sie im nächsten Jahr ihren Betrieb einstellen werden, neun Prozent befürchten, dass sie keine Zukunft haben. Doch eine Mehrheit von 68 Prozent war zuversichtlich, dass es für ihre Veranstaltungen weitergeht.
Ebenfalls optimistisch stimmen könnte der Fakt, dass 18 Prozent der deutschen Festivals in den vergangenen fünf Jahren neu ins Leben gerufen wurden. Hier sticht die elektronische Musik mit einem Anteil von 36 Prozent hervor.
Die vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführte Erhebung ist genreübergreifend, wobei sich zeigte, dass 71 Prozent der deutschen Festivals der Popularmusik und dem Jazz zuzuordnen sind und 24 Prozent der Klassik. Durchschnittlich waren knapp fünf Genres pro Festival vertreten. Am populärsten sind die elektronische Musik (42 Prozent), Rock (40 Prozent) und Pop (39 Prozent).
Ehrenamt als zentraler Faktor
Bei der räumlichen Verteilung der Festivals zeigt sich, dass die Mehrheit im städtischen Raum stattfindet, und zwar zu 60 Prozent in Städten mit unter 100.000 Einwohner*innen. Auf Metropolen wie Berlin – in der Hauptstadt wurden 62 Festivals gezählt – entfallen nur 17 Prozent des Festivalaufkommens. Deshalb verwies Katja Lucker, Geschäftsführerin der Initiative Musik, bei der Studienvorstellung im House of Music, auch auf die demokratiefördernde Wirkung von Festivals, die auf niederschwellige Weise Zusammenhalt ermöglichten. „Dafür muss es nicht immer das riesige Festival mit großen Bühnen sein“, so Lucker.
Eine herausragende Rolle spielt dabei ehrenamtliches Engagement: Bei 79 Prozent der Festivals sind freiwillig Helfende an der Planung und Durchführung beteiligt. In kleinen Orten geht ohne sie quasi nichts: Dort sind sie bei 97 Prozent der Festivals beteiligt.
Nur 15 Prozent der Festivals erzielen Gewinne
Spannend ist der Blick auf die finanziellen Aspekte, denn nur 15 Prozent der Festivals erzielen Gewinne, 30 Prozent machen Verluste. Allerdings bezeichnen sich auch nur 18 Prozent der Festivals als kommerziell orientiert, der Mehrheit der Veranstaltenden geht es um kulturelle und gemeinnützige Ziele.
Durchschnittlich kommen pro Festival etwa 313.000 Euro an Einnahmen zusammen, die Ausgaben belaufen sich auf rund 296.000 Euro. Betrachtet man die gesamte Festivallandschaft, stehen rund 551 Millionen Euro auf der Einnahmeseite rund 522 Millionen Euro an Ausgaben gegenüber.
Die Einnahmen gestalten sich je nach Genre sehr unterschiedlich: Bei Klassikfestivals stammen 40 Prozent aus öffentlichen Zuschüssen, 30 Prozent aus den Ticketverkäufen und 24 Prozent von Stiftungen, Mäzenatentum und Sponsoring. Popfestivals generieren ihre Einnahmen nur zu 20 Prozent aus Zuschüsse und 13 Prozent Sponsoring, dafür zu 39 Prozent aus den Ticketverkäufen. Der Rest entfällt größtenteils auf den Verkauf von Speisen und Getränken, der bei Klassikfestivals kaum eine Rolle spielt.
Bei den Ausgaben sind die Gagen mit 38 Prozent der größte Kostenpunkt. Auch hier zeigt sich ein klarer Unterschied zwischen Klassik und Pop: Bei Klassikfestivals entfällt fast die Hälfte der Gesamtausgaben (48 Prozent) auf die Honorare, bei Popfestivals sind es nur 34 Prozent, darin enthalten Jazzfestivals mit 41 Prozent.
In sämtlichen abgefragten Leitungsfunktionen sind Männer signifikant häufiger vertreten als Frauen oder nicht-binäre Personen.
Aus der Studie „Musikfestivals in Deutschland“.
Zu Themen wie Nachhaltigkeit und Diversität werden in der Studie ebenfalls Daten erhoben, leider jedoch ohne detailliert auf die Genderverteilung der Auftretenden einzugehen. So lässt sich Männerdominanz auf deutschen Bühnen, die Rike van Kleef kürzlich anhand von fünf großen Popfestivals erforscht hat, mit der neuen Studie nicht genauer quantifizieren. Diese beruht auf Fragebögen und Interviews mit Veranstaltenden, denen aber zumindest die Aussage „Wir achten auf eine geschlechtergerechte Verteilung im Hinblick auf das gesamte Musikprogramm“ vorgelegt wurde. Dem stimmten 60 Prozent der Popularmusik-Festivalmacher*innen vollständig zu, aber nur 32 Prozent der Verantwortlichen für Klassikfestivals.
Wie es mit der Gendergerechtigkeit hinter den Festival-Kulissen aussieht, zeigt die Studie jedoch deutlich. „In sämtlichen abgefragten Leitungsfunktionen sind Männer signifikant häufiger vertreten als Frauen oder nicht-binäre Personen“, heißt es dort.
Das umfangreiche Datenmaterial von „Musikfestivals in Deutschland“ zeichnet das Bild einer unglaublich vielfältigen Eventlandschaft, die stark von der Leidenschaft der Veranstaltenden lebt. Auch abseits der Mega-Events in den Großstädten blüht sie in den buntesten Farben – und verkraftet schon mal einen prominenten Abgang oder auch zwei.
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