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"Cascade" im HAU, das Bühnenbild stammt von Phillipe Quesne.

© Martin Argyroglo

Stück von Meg Stuart im HAU: Auf der galaktischen Hüpfburg

Instabile Zone: Die Choreografin Meg Stuart zeigt ihr Gruppenstück „Cascade“ im HAU2. Fallen spielt darin eine große Rolle.

Von Sandra Luzina

Acht Mal musste die Premiere von Meg Stuarts „Cascade“ verschoben werden. Die Uraufführung sollte eigentlich auf der Ruhrtriennale 2020 stattfinden. Für die in Berlin lebende Choreografin und ihr siebenköpfiges Ensemble hieß das: Proben immer wieder neu aufnehmen, um dann abbrechen zu müssen. Wieder beginnen, fortfahren und unterbrechen – dieser stolpernde Rhythmus prägt die Inszenierung. Nun erlebte „Cascade“ seine Berliner Premiere im HAU2. Obwohl mittlerweile schon mehrmals gespielt, wirkt es immer noch wie ein Wiedereinstiegsprogramm für bühnenentwöhnte Perfomer:innen. Oder ist es das Publikum, das sich erst wieder mit der Sprache und Materialität von bewegten Körpern vertraut machen muss?

Das Bühnenbild hat der kanadische Theatermacher und Szenograf Philippe Quesne entworfen. Zwei großen Luftkissen und eine steile Rampe bilden eine Art Hindernis-Parcours. Umgeben ist dieser Abenteuerspielplatz von einem Fotopanorama des Weltalls, das Sterne und Planeten zeigt. Auf dieser galaktischen Hüpfburg absolvieren die Performer:innen ihre merkwürdigen Exerzitien. Über den Köpfen schweben zwei Netze mit Felsgeröll aus Schaumgummi.

Wirklich riskant sind die Aktionen dieser tänzerischen Kaskadeur:innen nicht. Doch sie bewegen sich permanent auf schwankendem Grund, sind der Schwerkraft ausgeliefert, ringen um ihr Gleichgewicht. Renan Martins de Oliveira schwingt sich mit einem Seil auf eines der Kissen, Isabela Fernandes Santana wippt auf dem nachgiebigen Material. Die Körper sinken ein und prallen sanft ab, das Fallen wird abgepolstert.

Auf dem Bauch liegend nach unten

Die Schanze, die wie ein Relikt einer Sportveranstaltung wirkt, verlangt den Tänzer:innen dann ganz andere Anstrengungen ab. Der Aufstieg lässt sich in schnellem Lauf oder kraxelnd auf allen vieren bewerkstelligen. Pieter Ampe in seiner Cowboy-Fransenhose erklimmt mehrmals hintereinander die Rampe, verweilt einige Sekunden auf der Schräge und saust verzückt wieder hinab. Andere gleiten auf dem Bauch liegend nach unten. Bei allen Strapazen hat das Klettern meist etwas Spielerisches, Sportliches, eine existenzielle Dimension erschließt sich nicht bei dieser Rutschpartie. Denn Meg Stuart lässt ihre Performer:innen zwar straucheln und taumeln, aber nie richtig abstürzen.

Taumeln, kollabieren - die Performer:innen von "Cascade".
Taumeln, kollabieren - die Performer:innen von "Cascade".

© Martin Argyroglo

Die Choreografin nimmt sich viel Zeit, um diese instabile Zone, in der sich alle Gewissheiten verflüchtigt haben, zu erkunden. Wie die Zeitwahrnehmung sich durch die Corona-Pandemie verändert hat, auch das wird thematisiert in „Cascade“. Meg Stuart dehnt die Zeit, zelebriert die Langsamkeit, beschleunigt dann das Geschehen, um es wieder abrupt anzuhalten. Die Komposition von Brendan Dougherty verbindet Live-Musik und aufgezeichnete Klänge.

Doch es dauert, bis die beiden Schlagzeuger:innen Philipp Danzeisen und Spela Mastnack, die am Rande der Bühne platziert sind, so richtig loslegen können. Die Rhythmen überlagern und steigern sich zu einem perkussiven Wirbel. Die Tänzer:innen greifen sie auf unterschiedliche Weise auf, so dass ein wogendes Auf und Ab, eine rauschhafte Energie entsteht. Meg Stuart entwirft kurze Szenen einer in Ekstase vereinten Menge – dann halten die Tanzenden inne und schauen sich ratlos an.

Es geht auch um Corona

„Willkommen zurück. Nach einer Pause sind wir zurück.“ So begrüßte Davis Freeman anfangs die Zuschauer. Und konstatiert: „Alles hat etwas mehr … Tiefgang bekommen.“ Die Texte, die von Tim Etchells von Forced Entertainment und vom Ensemble stammen, spielen direkt auf die Pandemie an, bleiben aber meist vage – und wirken recht banal. Im letzten Teil zeigt Meg Stuart nochmal andere Varianten des Fallens: Man sieht den Tänzer:innen dabei zu, wie sie umknicken, zusammensacken, kollabieren. Es sind alles versierte Umfaller, die sich schnell wieder berappeln.

[weitere Aufführung: 26.2., 20 Uhr HAU2. Und im Rahmen der Tanzplattform am 19.3. u. 20.3. in der Volksbühne]

Ab und zu gelingt es Meg Stuart, die abstrakten Szenen emotional aufzuladen. Bisweilen überrascht eine der Tänzer:innen mit einer ungewöhnlichen Figur, die neue Assoziationen weckt. Doch das begrenzte Bewegungsmaterial wird hier auf recht ermüdende Weise durchdekliniert. Nicht nur bei den Kissen ist zwischendurch die Luft raus. „Das Leben ist grausamer geworden. Und die Menschen sind distanzierter.“ Mit diesem Befund entlässt Meg Stuart die Zuschauer:innen.

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